piwik no script img

Archiv-Artikel

Die deprimierenden Zahlen

Projekt kümmert sich um Kinder von psychisch Kranken. Geld vom Land bekommt es keins. Denn Hilfen zur Erziehung wurden seit 2002 um 40 Prozent gekürzt. Wohlfahrtsverband: unverantwortlich

VON VERONIKA DE HAAS

Sie werden von der Wissenschaft als die „vergessenen Kinder“ bezeichnet. Sie haben psychisch kranke Eltern und meist keine kompetente Bezugsperson mehr. Oft werden sie selbst nicht auffällig, doch als Erwachsene erkranken sie häufig selbst. Der Verein Ambulante Sozialpädagogik Charlottenburg e. V. (Amsoc) vermittelt daher Paten für solche Kinder. Das bundesweit einzigartige Projekt sei von der zuständigen Senatsstelle ausdrücklich gutgeheißen, sagt Amsoc-Mitarbeiterin Katja Beeck. Doch auf Gelder vom Land hofft das Projekt weiter vergeblich. Denn der Senat hat nicht nur kein Geld für neue Projekte, er spart weiter kräftig bei den alten.

Im Doppelhaushalt 2006/07 sind Streichungen von 33 Millionen Euro bei den Hilfen zur Erziehung geplant. Dies würde nach den bereits erfolgten Kürzungen seit 2002 eine Reduzierung um 40 Prozent von ehemals 451 auf 270 Millionen Euro bedeuten. Bis Ende November soll das Abgeordnetenhaus den Haushaltsentwurf beschließen.

Die Liga der Spitzenverbände der freien Wohlfahrtspflege in Berlin schlägt aufgrund dieser Zahlen Alarm. Eine weitere Reduzierung der Mittel nannte der Vorsitzende Hans-Wilhelm Pollmann am Montag „unverantwortlich“. Bereits heute würden nur noch rund 14.500 sozial benachteiligte Kinder und Jugendliche betreut, vor drei Jahren waren es 7.000 mehr, so Sprecherin Elfi Witten. Die Talsohle sei erreicht.

Werden jedoch die Sparpläne der Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Sport umgesetzt, würden in den kommenden zwei Jahren noch einmal 1.400 Familien weniger Hilfe erfahren, hat die Liga errechnet. Dabei gibt es in keiner anderen deutschen Großstadt so viele arme Familien wie in Berlin. 18,5 Prozent der Kinder gelten hier als arm, fast doppelt so viele wie im Bundesdurchschnitt.

In den Jugendämtern der Bezirke werde allerdings bereits heute eine „Leistungsgewährungspraxis nach Kassenlage“ durchgeführt und Bedürftigen somit ihr Recht auf Hilfe verwehrt, klagt die Liga. Weitere Kürzungen gingen zu Lasten der vorsorgenden Maßnahmen, so Witten. Familienhelfer würden beispielsweise wegfallen. Und man könne auf Probleme in Familien erst reagieren, wenn sie bereits überhand nähmen. Zudem würde nur, wer Hilfe für sich reklamiere, gegebenenfalls auch betreut. Doch kämen gerade die Hilfebedürftigsten nicht von allein aufs Amt.

Mit ihrer Kampagne „Glücksspiel Zukunft – Kinder- und Jugendhilfe sichern“ wollen die Wohlfahrtsverbände auf die Missstände aufmerksam machen und Betroffene informieren. Ein Jugendhilfe-Aktionstag und eine Diskussionsrunde mit Kardinal Sterzinsky sind geplant.

Amsoc jedoch muss sich weiter mit Stiftungsgeldern finanzieren. Dabei sind die „vergessenen Kinder“ keineswegs ein seltenes Randphänomen. Nach Expertenschätzung ist von rund 22.000 psychisch schwer kranken Eltern in Berlin auszugehen.