: Im Misstrauen gefangen
AUS KIRKUK UND ERBIL INGA ROGG
Nichts an der äußeren Erscheinung von Mohammed Hamid erinnert an seinen früheren Beruf. In seiner dunkelgrauen Hose, dem kurzärmligen Hemd, mit dem über die Ohren reichenden grauen Haar und der großen Brille wirkt er wie ein Lehrer im Ruhestand. Allenfalls die Golduhr am Handgelenk stört diesen Eindruck. Aber der 53-Jährige, der älter aussieht, ist kein gewöhnlicher Pensionär in Kirkuk mit seinen rund 800.000 Einwohnern. Mohammed Hamid war bis zum Sturz der Saddam-Diktatur General und diente dreißig Jahre lang als Pilot in der irakischen Luftwaffe. Zudem gehört er der Minderheit der sunnitischen Araber an, die das Rückgrat fast aller Regime im Irak von den Osmanen bis zu Saddam Hussein bildete.
In den Augen der neuen irakischen Machthaber wie der Amerikaner ist er daher gleich doppelt verdächtig. Überdies geht ein großer Teil der gegenwärtigen Gewalt auf das Konto der alten Elite. Tausende sunnitischer Araber wurden daher in den letzten Monaten unter dem Verdacht festgenommen, sich am Terror beteiligt zu haben.
Den ehemaligen Luftwaffengeneral traf es in der Nacht zum 30. April. Kurz nach Mitternacht umstellte eine Polizeieinheit das Haus. Die Polizisten seien Kurden gewesen, im Schlepptau zwei mit Maschinenpistolen bewaffnete Amerikaner in Zivil, sagt Mohammed Hamid. Während die Kurden das Haus durchsuchten, nahmen die Amerikaner seinen weißen Mazda unter die Lupe. „Der Einsatzleiter glich meinen Namen mit einer Liste ab, dann legten sie mir Handschellen an, verbanden mir die Augen und verfrachteten mich in ein Polizeiauto.“
Die gleiche Prozedur habe sich noch in drei weiteren Häusern im vornehmlich von sunnitischen Arabern bewohnten Rashid-Viertel wiederholt. Warum er festgenommen wurde, erfuhr der 53-Jährige nicht. Nach einer Nacht in einer Zelle in Kirkuk und einer Fahrt mit verbundenen Augen fanden sich die vier Festgenommenen am nächsten Tag im Gefängnis der kurdischen Hauptstadt Erbil wieder.
Vertreter von Arabern und Turkmenen werfen den Kurden vor, hunderte Gefangene aus Kirkuk und Mossul nach Kurdistan verschleppt zu haben, wo sie ohne Rechtsgrundlage in den Gefängnissen vom Asaish, dem kurdischen Staatsschutz, festgehalten würden. Berichte über angebliche Folter und Misshandlungen haben das ohnehin angespannte Verhältnis zwischen Kurden, Turkmenen und Arabern in Kirkuk in der letzten Zeit zusätzlich vergiftet. Die Amerikaner würden dem Treiben ihres treuesten Verbündeten tatenlos zusehen, lautet ein Vorwurf.
Sprecher des in Kirkuk stationierten 116th Brigade Combat Team (BCT) bestreiten das. „Meine Soldaten haben damit nichts zu tun“, sagt der Kommandeur, Brigadegeneral Alan Gayhart. Erst durch die Beschwerden von Angehörigen sei man auf die Vorgänge aufmerksam geworden. Was für Vorgänge?, entgegnen Polizeioffiziere in Kirkuk und in Kurdistan. „Wir haben absolut keinen Rechtsbruch begangen“, sagt Ismet Ergushi, Chef des Staatsschutzes Asaish in Erbil. „Die Nationalgarde, die Polizei und die Amerikaner haben uns um die Aufnahme der Gefangenen gebeten.“ Dass man den Kurden jetzt den schwarzen Peter zuschiebe, empfindet er geradezu als Verunglimpfung. „Sie haben sich sogar ausdrücklich für unsere Hilfe bedankt“, sagt Ergushi. Auf ausdrückliche Bitte der Amerikaner habe er zudem schon vierzig Gefangene freigelassen.
Begründet wurde der Schritt mit der unzureichenden Ausstattung und Größe der Gefängnisse in Kirkuk und Mossul, sowie der prekären Sicherheitslage besonders in Mossul. Kirkuk verfügt nur über Haftanstalten für gewöhnliche Kriminelle, nicht jedoch über ein Zentralgefängnis, wie es das weiterhin gültige alte irakische Recht für Sicherheitsgefangene verlangt. Dabei untersteht Kirkuk im Gegensatz zu Erbil und Suleimaniya dem Innenministerium von Bagdad, sodass die Gefangenen von hier theoretisch nach Abu Ghraib verlegt werden müssten.
Das berüchtigte Gefängnis im Westen von Bagdad wiederum unterliegt weitgehend der Kontrolle der Amerikaner. Deren Gefangenenlager – neben Abu Ghraib, Camp Cropper am Bagdader Flughafen und Camp Bucca im Südirak – quillen mit mehr als 10.000 Insassen jedoch über. Um der Lage Herr zu werden, haben die Amerikaner statt mit dem Abriss mit der Erweiterung der Gefängnisse begonnen. In der Nähe von Suleimaniya wird derzeit eine alte Militärbasis für 2.000 weitere Häftlinge umgebaut. Landesweit soll bis Ende Februar 2006 Platz für 16.000 Gefangene geschaffen werden. Mit einem baldigen Ende der Untergrundbewegung rechnet inzwischen offenbar niemand mehr.
Yashar Fadhil Ali wurde am 25. Februar zusammen mit zehn Mitarbeitern einer privaten irakischen Sicherheitsfirma an einem Checkpoint in Mossul angehalten und festgenommen, als sie einen türkischen Transport zu einer US-Militärbasis begleiteten. Der Rücken des schmalen Turkmenen ist mit Narben übersät. Spuren der Folter, die er und seine Kollegen auf einer Polizeiwache erlitten haben sollen. „Jede Nacht holten sie uns zum Verhör. Stundenlang prügelten sie uns mit Eisenstangen und Elektrokabeln, damit wir Morde und Vergewaltigungen gestehen“, sagt der 42-Jährige. „Der Albtraum hatte erst ein Ende, als wir zwei Wochen später nach Erbil verlegt wurden.“ Von einem der Mitgefangenen fehle bis heute jede Spur. Allerdings lassen sich diese Angaben kaum überprüfen, da Mossul für westliche Reporter mittlerweile eine lebensgefährliche Stadt ist. Militante Islamisten haben dort einen Todesbann über ausländische, aber auch etliche irakische Medienleute verhängt.
Hinweise auf massenhafte Misshandlungen in den kurdischen Gefängnissen gibt es jedoch nicht. „Nein, ich wurde weder geschlagen noch gefoltert“, sagt der frühere Luftwaffengeneral Mohammed Hamid. Auch die Versorgung mit Essen und Trinken habe im Gefängnis von Erbil funktioniert. Am dritten Tag kamen Mitarbeiter des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz, die dann auch die Angehörigen informierten. Viele ehemalige Häftlinge beklagen jedoch die Überfüllung der kurdischen Haftanstalten. „Zu vierzig sperrten sie uns in eine Zelle von etwa 20 Quadratmetern“, sagt Exluftwaffengeneral Hamid. Im Vergleich zum Rest des Landes, wo die Polizei wieder unter generellem Folterverdacht steht wie zu Zeiten der Diktatur, geht es in Kurdistan beinahe rechtsstaatlich zu.
Doch dafür hat man beim sunnitischen Arabischen Rat, der mit fünf Abgeordneten im Provinzrat von Kirkuk vertreten ist, momentan kein Ohr. In dem gepflegten Büro im Südwesten von Kirkuk lässt man kaum ein gutes Haar an den Kurden. Ob Entführungen, Stromausfälle oder Wasserknappheit – für beinahe jeden Missstand werden sie verantwortlich gemacht. In der Verlegung der Gefangenen nach Kurdistan sieht der Abgeordnete Mohammed Khalil al-Juburi einen Plan zur Vertreibung des Sunniten aus Kirkuk. „Das ist ein Rachefeldzug“, sagt der sunnitische Verwaltungsrechtler. „Wir sollen für alles büßen, was Saddam den Kurden angetan hat.“ Dabei räumt Juburi ein, dass höchstens 320 Gefangene verlegt wurden, auf amerikanischer Seite spricht man von 180 Fällen.
Obwohl viele Vorwürfe an die Kurden überzogen wirken, ist deren Dominanz in den politischen Gremien von Kirkuk unübersehbar. Da die Sunniten auch in Kirkuk den Wahlen im Januar weitgehend ferngeblieben waren, stellt das kurdisch geführte Bündnis „Brüderlichkeit“ 26 von 41 Abgeordneten im Provinzrat. Gouverneurs- und Bürgermeisteramt, aber auch die Hälfte der Führungspositionen im öffentlichen Dienst sind mit Kurden besetzt. Zwar sind die Polizeieinheiten multiethnisch zusammengesetzt, den Kern der Eliteeinheiten bilden indes ehemalige kurdische Peschmerga-Kämpfer. Darüber hinaus haben die beiden mächtigen kurdischen Parteien im Norden nach dem Krieg 2.500 Polizisten nach Kirkuk geschickt, die bis heute auf der Lohnliste der kurdischen Regionalregierung stehen. Mit Landverteilungen haben sie zudem die Wiedergutmachung der Vertreibung von Kurden durch das Saddam-Regime in die Hand genommen. Riesige Neubauviertel im Norden und Osten der Stadt zeugen vom schwunghaften Wachstum der kurdischen Gemeinde in den letzten zwei Jahren.
Bei Turkmenen und Arabern hat dies das Gefühl verstärkt, im politischen Prozess an den Rand gedrängt zu werden. Zumal die Kurden darauf zielen, die in Artikel 58 der Interimsverfassung vorgesehene Reorganisation der Verwaltungsbezirke von Kirkuk, die ihnen eine Mehrheit in der Provinz verschaffen würde, noch vor Verabschiedung der neuen Verfassung durchzusetzen. „Die Kurden reden von Demokratie“, sagt der Abgeordnete Juburi, „doch unsere Rechte treten sie mit Füßen.“
Vielen Kurden stößt freilich auf, dass seitens der sunnitischen Araber wenig Bereitschaft besteht, die Verbrechen der Diktatur oder gar eine Mitschuld anzuerkennen. Zu spüren bekommen das nicht zuletzt die Angehörigen von Gefangenen. Im Wartezimmer des Sicherheitsdienstes Asaish in Erbil drängen sich Besucher aus Mossul, Falludscha, einer ist sogar aus Basra angereist. Eine Frau mit zwei hübschen Töchtern will bei dem Wachhabenden eine Besuchserlaubnis für ihren Mann erwirken. Der Posten fragt indes nicht einmal nach dem Namen, sondern lässt ihr über seinen Dolmetscher mitteilen, ihr Mann sei nicht in Erbil. „Komm nächsten Monat wieder“, antwortet er einer Kurdin aus Falludscha, deren Mann seit einem Monat in Haft ist. Glück hat eine Familie aus Mossul – nach zwei Monaten kann sie den Schwiegersohn zum ersten Mal besuchen.