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„Erst gucken, dann schlucken“

Bärlauch ist passé, jetzt haben köstliche Brennnesseln und Blüten Saison. Nur: Die falschen verursachen eher Bauchkrämpfe und Reue als Genuss

Interview Teresa Wolny

taz: Frau Bethmann, was ist Ihr Lieblingskraut?

Felicitas Bethmann: Das kommt auf die Jahreszeit an, momentan ist es Holunder. Gundermann hat mir gesundheitlich bisher am meisten geholfen und ich mag ihn als aromatisches Würzkraut. Bei den Kräuterwanderungen gibt es darüber immer sehr geteilte Reaktionen, das finde ich interessant. Generell mag ich Geschmäcker, die herausfordern.

Was wächst am Wegesrand im Moment Essbares?

Was man jetzt im Moment gut sammeln kann, sind Brennnesseln. Wenn sie schon größer sind, werden nur die oberen Teile verwendet. Demnächst kommen auch die Brennnesselsamen, die man getrocknet auch im Herbst und Winter über das Müsli streuen kann. Dort wo es nach dem Mähen nachwächst, kann man auch frische Blättchen von Giersch und Schafgarbe sammeln. Oder Vogelmiere und Gänseblümchen, die sind fast ganzjährig zu ernten.

Wie wird zum Beispiel Brennnessel in der Küche verwendet?

Die Blätter können klassisch wie Spinat zubereitet werden, dann braucht man sich auch keine Gedanken über die Brennhärchen zu machen. Für Brennnesselchips brät man sie in einer Pfanne mit Öl an. Möchte man die Blätter frisch essen, sollten sie ein paar mal gefaltet werden, sodass die Brennhärchen zerknicken. Oder alternativ mit dem Nudelholz darüberrollen.

Sammeln Sie Kräuter eher für den Salat oder für die Würze?

Auch das hängt von der Jahreszeit ab. Das Sortiment im Supermarkt lässt uns oft vergessen, dass jede Pflanze eigentlich ihre Zeit hat. Im Frühjahr ist Salatschüsselzeit, dann ist auch die Smoothie-Fraktion gut dabei, weil viel Blattmasse frisch aus der Erde gesammelt werden kann. Im Frühjahr gibt es also die meisten frischen Blätter, im Sommer viele Blüten und im Herbst dann die Samen, Beeren und Nüsse. Viele Kräuter werden im Laufe des Jahres bitterlicher oder schärfer.

Besteht beim Sammeln Verwechslungsgefahr?

Auf jeden Fall. Im Vergleich zur Menge der Pflanzen sind es jedoch relativ wenige, bei denen es wirklich gefährlich wird. Aber es kommt vor, dass etwa die Herbstzeitlosen mit dem Bärlauch verwechselt wird, da sterben leider auch immer mal wieder Menschen. Und der Wiesenkerbel als Gewürzpflanze sieht dem historisch berühmten, giftigen Schierling sehr ähnlich. Generell gilt: Erst gucken, dann schlucken, man muss sich wirklich sicher sein, was man da macht.

Ist das echt so problematisch?

Ich hatte gerade erst einen Fall, bei dem eine Frau erzählte, im Herbst große Mengen von schwarzem Holunder im Smoothie verarbeitet zu haben. Das endete mit tagelangem Brechdurchfall. Ein paar einzelne Beeren vom Strauch kann man ruhig naschen, aber größere Mengen müssen vor dem Verzehr gekocht werden. Es ist also auch wichtig, dass man die Zubereitungsart weiß.

Kann man auch in der Stadt Kräuter sammeln?

Am besten sammelt man in Gebieten, in denen man sich halbwegs auskennt, und weiß, wo die Hundewege sind, an denen man nämlich nicht sammeln sollte. Auf jeden Fall Abstand von Straßen halten. Die Böschungen bei Wasserläufen sind oft gut zum Sammeln, und wenn man Kräuter auf Kniehöhe sammelt, kommt dort auch kaum ein Hund hin. Umzäunte Kinderspielplätze oder Hinterhöfe können ebenfalls gute Orte sein. Generell gilt: Die Kräuter vor dem Essen gründlich waschen.

Felicitas Bethman

51, durchlief verschiedene Aus- und Fortbildungen in Heilpflanzenkunde, ist Gründerin der Hamburger Kräuterkiste und bietet urbane Kräuterwanderungen und Kurse an.

Wie sieht es mit den gesundheitlichen Wirkungen aus?

Generell sind fast alle Pflanzen Heilpflanzen. Manche Inhaltsstoffe wirken etwa entzündungshemmend oder antibakteriell. Die meisten Kräuter sind gut für die Gesundheit. Darunter sind potente Heilpflanzen, die auch von der Schulmedizin eingesetzt werden, etwa Spitzwegerich und Thymian bei Husten. Abgesehen davon ist der Gehalt von Vitaminen, Mineralstoffen und Spurenelementen in Wildpflanzen meist um ein Vielfaches höher als im Kulturgemüse.

Wie lagert man die gesammelten Kräuter am besten?

Wer am Wochenende sammeln geht und die Kräuter in den ersten Wochentagen verwenden möchte, legt sie am besten in einem feuchten Tuch ins Gemüsefach. Dort halten sie zwei bis drei Tage. Ansonsten ist es auch möglich, sie einzufrieren, die meisten Vitalstoffe bleiben dabei erhalten. Wenn sie getrocknet werden sollen, ist es wichtig, dass es vor dem Sammeln ein paar Tage Sonne gab, sonst enthalten die Pflanzen zu viel Feuchtigkeit und gammeln beim Trocknungsvorgang vielleicht weg.

Wenn kein Sammelplatz zur Hand ist: Welche Kräuter wachsen gut auf dem Balkon?

Meine Erfahrung ist, dass da so gut wie alles wächst. Der Vorteil an Wildkräutern ist, dass sie sehr anspruchslos und anpassungsfähig sind. Auf meinem Balkon wächst unter anderem Spitzwegerich, Gänseblümchen, Schafgarbe und Gundermann.

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