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Archiv-Artikel

Ein Dorf bezieht Stellung

RECHTSEXTREMISMUS Im schleswig-holsteinischen Martensrade ist ein rechtsextremer Verlag herangewachsen. Jetzt hat die Gemeinde ihr Gemeinschaftshaus nach den Geschwistern Scholl benannt

In der Prestigepublikation „Zuerst!“ werden Ausbildungsplätze angeboten

Der neue Name des Dorfgemeinschaftshauses ist eine politische Botschaft an die rechtsextreme Szene in der kleinen Gemeinde. Seit Sonntag heißt das Gemeinschaftshaus in Martensrade nahe Kiel „Geschwister Scholl Haus“. Bei der Feier sagte Innenminister Andreas Breitner (SPD), dass Martensrade als „Vorbild für alle Gemeinden“ diene könnte, „die ein Problem mit dem Rechtsextremismus haben“. Ein ganzes Dorf handele nach der Devise „Wehre den Anfängen“.

Das Dorfgemeinschaftshaus nach den NS-Opfern Hans und Sophie Scholl aus dem Widerstandskreis der „Weißen Rose“ zu benennen, war lange im Gespräch. Die kleine Gemeinde tat sich schwer, eine Antwort zu finden auf das, was sich in ihrer Mitte entwickelte: Über Jahre wuchs hier die „Lesen & Schenken GmbH“ um Dietmar Munier zu einem der größten rechtsextremen Verlagsnetzwerke Deutschlands heran.

Dessen Schwerpunkt: Geschichtsrevisionismus, bei dem gern auf die vermeintlichen Leistungen Deutschlands von 1933 bis 1945 verwiesen wird. Für den rechtsextremistisch orientierten Leser spiele die Verlagsgruppe „eine herausragende Rolle“, heißt es im schleswig-holsteinischen Verfassungsschutzbericht.

In der Gemeinde mit knapp 1.000 Einwohnern gilt Munier als einer der größten Arbeitgeber. Regelmäßig werden in seiner Prestigepublikation „Zuerst! Deutsches Nachrichtenmagazin“ Ausbildungsplätze angeboten: im Verlag, in der Redaktion oder in der Grafikabteilung. Nachfragen auf der Straße wurden denn auch schnell abgetan: „Nein, hier macht der nichts“, hieß es. Die Sicherheitsorgane äußerten sich ähnlich. Verlagsveranstaltungen? Nein.

Im Juni diesen Jahres berichteten taz und NDR jedoch über eine Sonnenwendfeier bei Munier. Einer der Gäste war der verurteilte Holocaustleugner Ernst Zündel. Munier wollte das Treffen als Familienfeier herunterspielen. Der Name „Geschwister Scholl“ dürfte dem Verleger wenig gefallen. ANDREAS SPEIT