: Experience ganz in Oranje
Beim Vorrundenspiel zwischen Europameisterin Niederlande und Kamerun sorgte Gabrielle Aboudi Onguene für Trubel – am Ende setzten sich die Niederländerinnen mit 3:1 durch
Aus Valenciennes Andreas Rüttenauer
Die Niederländer waren da. Das macht natürlich Arbeit. Die „Fan Experience“, eine Art Kunststoffspielplatz für Alt und Jung, die an jedem WM-Spielort für Zerstreuung vor den Begegnungen sorgen soll, muss wieder aufgebaut werden in Valenciennes. Die Hüpfburgen, das Fußballkegelspiel und die aufblasbare Riesendartsscheibe, auf die man mit Klettfußbällen schießen kann, mussten dem Andrang der niederländischen Fans am Vortag weichen.
Es sollen mehr als 13.000 Menschen aus den Niederlanden gekommen sein, um sich das Spiel der Elftal gegen Kamerun anzuschauen. Vor dem Spiel versammelte sich diese große orange Kaffeefahrtgesellschaft auf dem Gelände der „Fan Experience“ und schunkelte sich zu Schlagermusik in Stimmung. Nach dem Spiel reisten sie bester Dinge wieder ab. Ihr Team hatte 3:1 gewonnen und sie hatten der Fußballwelt gezeigt, dass dieses Turnier zwei Heimmannschaften hat, Frankreich und die Niederlande.
Nicht ganz so witzig wie die niederländischen Fans sich selbst in ihren orangen Kostümen fand vor allem einer das Setting an diesem zweiten Spieltag in WM-Gruppe E. Der Trainer der kamerunischen Auswahl fühlte sich benachteiligt, weil das Spiel so nah an der Grenze zu den Niederlanden angesetzt worden war. Das und Schiedsrichterin Casey Reibelt aus Australien hätten dazu beigetragen, dass sein Team am Ende verloren hat, obwohl es eigentlich nicht schlechter als die Europameisterinnen gewesen sei.
Vor allem eine seiner Spielerinnen bekam zu spüren, wie es sich anfühlt, von Tausenden wütenden Fans ausgebuht zu werden. Dazu hatte Gabrielle Aboudi Onguene den Fans auch einen guten Grund geliefert. Während einer Spielunterbrechung bat sie am Spielfeldrand die niederländischen Betreuerinnen um etwas zu trinken. Als man ihr eine Flasche reichte, schleuderte sie diese umgehend ins Publikum. Seit dieser Szene zu Spielbeginn hatte sie keine ruhige Sekunde mehr. Bei jedem Ballkontakt schallten Hasslaute gegen sie durchs Stadion; blieb sie nach einem Zweikampf auf dem Platz liegen, wurde sie ausgepfiffen; und wenn sie sich behandeln ließ, wurden die Buhrufe besonders laut. So leicht also, das war schnell klar, kann aus dem großen Schunkelspaß Ernst werden.
Die 30 Jahre alte Stürmerin, die in der russischen Liga bei ZSKA Moskau spielt, schienen die Schmährufe indes zu beflügeln. Sie war es, die unmittelbar nachdem die Niederländerinnen nach der einzig schönen Kombination der ersten Halbzeit durch Vivianne Miedema mit 1:0 in Führung gegangen waren, kurz vor der Pause den zu diesem Zeitpunkt gewiss nicht unverdienten Ausgleich erzielt hat. Die orangen Fanmassen waren darüber derart schockiert, dass sie glatt vergessen haben, Onguene für ihren ausgelassenen Torjubel auch noch auszupfeifen. Nachdem sie die niederländische Torhüterin Sara van Veenendaal düpiert hatte, schob sie ihr Trikot über die Brust, um der Welt zu zeigen, was sie auf ihr T-Shirt, das sie darunter trug, geschrieben hatte. „Danke Bebom Ghislaine“, stand da zu lesen als Ehrerweisung für die vor gut einer Woche gestorbene ehemalige Fußballerin und Trainerin, die als eine der Wegbereiterinnen des Frauenfußballs in Kamerun gilt.
Doch nicht nur Onguene überraschte die Niederländerinnen. Die aggressiv verteidigenden Kamerunerinnen verhinderten das Spiel, das die Niederländerinnen so mögen, das Laufspiel. Nur selten kamen sie ins Rennen. Doch wenn es ihnen mal gelungen ist, fielen prompt die Tore. Dominique Bloodworth traf direkt nach der Pause und kurz vor Schluss noch einmal Miedema.
Dass ihre Spielerinnen das Mittelfeld nicht schnell genug überwunden haben, dass sie dort zu viele Bälle verloren haben, das war dann auch die Hauptkritik von Trainerin Sarina Wiegman nach dem Spiel. Aber: Die Qualifikation für das Achtelfinale ist geschafft. Und doch hat Kamerun der Fußballwelt gezeigt, wie man die Europameisterinnen vom Tor fernhält. Am Ende hatten die Kamerunerinnen sogar ein Mal mehr aufs Tor geschossen als die Niederlande.
Das haben die niederländischen Fans gewiss nicht mitnotiert. Für sie leuchtete die Welt nach dem Spiel einfach nur in den orangesten Tönen. Am Donnerstag steht für sie die Reise nach Reims zum Gruppenfinale gegen Kanada an. Das ist ja auch nicht allzu weit von der Grenze zu den Niederlanden entfernt. Sie können da ja schon einmal damit anfangen, die Luft aus den Hüpfburgen zu lassen, um Platz zu schaffen in der „Fan Experience“.
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