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Was heißt schon Theater?

Mit über 60 internationalen Künstler*innen präsentiert das Outnow!-Festival junge darstellende Künste in beachtlicher Breite

Von Jan-Paul Koopmann

Bestimmt ist es eine gute Idee, der langsam einsetzenden Spielzeitmüdigkeit mit maximalem Druck zu begegnen. Während am Goetheplatz die letzten Premieren in den Startlöchern stehen und die Schwankhalle ihren Jahresschwerpunkt „Über die Dinge“ bereits abgeschlossen hat, tobt sich das Bremer Theaterleben auf den Festivals aus. „Mittenmang“ und „Explosive“ sind gerade vorbei, da fährt „Outnow!“ bereits das nächste Gastspiel-Feuerwerk auf. Bis Montag zeigen über 60 internationale Künstler*innen, was darstellende Künste zustande bringen, wenn sie Genregrenzen beiseite lassen und zwischen Performance, Tanz, Sprechtheater und freier Kunst in die Vollen gehen. „Den Begriff des Theaters strecken“, sagt Schwankallen-Leiterin Pirkko Husemann dazu.

Begründet wurde das Festival 1994 als Sprungbrett für den Theaternachwuchs der freien Szene. Und während das auch heute noch gilt, haben sich doch mindestens die institutionellen Grenzen inzwischen erledigt: Zum mittlerweile dritten Mal wird das Festival in Zusammenarbeit von Schwankhalle und Theater Bremen ausgerichtet. Für dessen Intendant Michael Börgerding steht das auch grundsätzlicher für ein Zusammenrücken: Es sei heute selbstverständlich, dass auch in seinem Haus Protagonist*innen der freien Szene arbeiten – und umgekehrt.

Naja, und natürlich geht es auch ums Geld: Dass beide Häuser die Festivalkosten gemeinsam stemmen, schlägt sich derweil auch im Programm nieder. Das immer schon als internationales Festival angetretene Outnow! leistet sich in diesem Jahr neben diversen Akteur*innen aus europäischen Nachbarländern auch Gäste aus Tunesien und dem Libanon. Umgekehrt kann die Festivalleitung aus Florian Ackermann, Franziska Benack und Judith Strodtkötter auch gesteigertes Interesse auf Seiten der Künstler*innen vorweisen: Aus mehr als 300 Bewerbungen hat die Jury das Programm kuratiert.

Auch ohne ausgeschriebenes Oberthema wirkt das Programm alles andere als beliebig. Gleich mehrere verbindende thematische Stränge macht Florian Ackermann zwischen den Produktionen aus, die sich aus dem ergeben, womit sich darstellende Künste heute offensichtlich auch über Ländergrenzen und kulturelle Kontexte hinweg beschäftigen.

Auch ohne ausgeschriebenes Oberthema wirkt das Outnow-Programm alles andere als beliebig

Zur kritischen Auseinandersetzung mit tradierten Geschlechterrollen tritt am Sonntagabend etwa Julia B. Laper­rière an. Für ihre Performance „Falla“ wird sie mit Hilfe eines Strap-on-Dildos den Phallozentrismus erkunden, auch kritisch gedachte Kategorien der Psychoanalyse hinterfragen und die Aneignung praktisch durchspielen. Von der entgegengesetzten Seite des Spektrums ging die Tanzproduktion „I Listen, (you) see“ der Gruppe Hamdi Dridi aus Tunesien das Thema bereits zur Eröffnung am Freitag an. In ihrer Choreografie untersuchen sie die Bewegungsabläufe von Bauarbeitern, wie sie zwischen roher Kraft und Momenten trippelnder Vorsicht changieren. Das ist auch ein Stück persönlicher Lebenserfahren, weil, wie Choreograf Hamdi Lakhdher sagt, in Tunesien „niemand nur Tänzer“ ist. Ihren Lebensunterhalt bestreiten die Tänzer tatsächlich auf dem Bau.

Andere produktionsübergreifende Themen sind die brüchig gewordenen Konzepte von Körperlichkeit oder die Verschachtelungen von individueller Biografie und Geschichte. Besonders vielversprechend ist hier am Montag die „Mauerschau“, die im Jahr des Mauerfalls zum Jahrestag des Mauerbaus in Ost-Berlin auf die Welt kam und sich heute fragt, wie sie von einem Land geprägt wurde, das sie selbst nie gesehen hat.

Eine Premiere ist in diesem Jahr außerdem die Zusammenarbeit mit der Hochschule für Künste. Studierende der Klasse Asli Serbes beleben den öffentlichen Raum zwischen den Spielorten mit Installationen, einer mobilen Küche und performativen Miniaturen. Insgesamt jedenfalls versammelt das Programm ausgesprochen vielseitige Positionen – bis ins Rahmenprogramm, wo etwa Rapperin Gianni Mae auch weit über die Theaterszene hinaus Publikum mobilisieren dürfte.

Bis Mo, 10. 6., Schwankhalle und Theater Bremen. Programm: www.outnowbremen.de

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