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Wie eine Oma mit Skistöcken

Wie ist die Lage im Theater? Eher mau, wie die „Lange Nacht der Autor_innen“ am DT Berlin zeigt

Von Barbara Behrendt

Am Ende der „Langen Nacht der Autor_innen“ am Deutschen Theater: Ratlosigkeit. Sollen diese Stücke, die beim Finale der Autorentheatertage (ATT) uraufgeführt wurden, wirklich die beste Ausbeute gewesen sein aus einem 113 Einsendungen dicken Wettbewerbs-Stapel? Ein Stück, das sich in diskursivem Geraune über die zerbröckelnde Welt erschöpft, ein zweites, das höchst ungefähre Parallelen zweier bedrohter Frauenbiografien in einer Collage verschnipselt, und ein drittes, das aus den Monologen gar nicht herauskommt und dem alles Szenische, Dialogische abgeht?

Doch halt, bleiben wir fair: Immerhin beschreibt Svealena Kutschke in diesem Prosa-Stück zu unseren füßen, das gold, aus dem boden verschwunden“ eine konkret fassbare gesellschaftliche Situation: Fünf Bewohner eines Berliner Mietshauses breiten in Selbstgesprächen ihre Projektionen über einen abwesenden sechsten Mieter aus – einen syrischen Geflüchteten. András Dömötör gelingt es in der DT-Box jedenfalls, mit Kammerspiel-Intimität (30 Zuschauer im Stuhlkreis) und guten Schauspielern eine poetische Erzählung aus dem Alltag zu formen.

Da hatte Lisa Danulat mit „Entschuldigung“ weniger Glück. Ihre Assoziationen um eine lebensmüde Mutter, die ins Wasser geht, und eine junge Deutsche, die 2008 die Familie ihres schwedischen Ex-Liebhabers erschlug, wirken zwar vage und zufällig, doch hätte man in diesen Schwebezuständen zwischen Leben und Tod durchaus Emotionen aufrufen können. Peter Kastenmüller vom Zürcher Neumarkt Theater, das die „Lange Nacht“ koproduziert, walzt das Stück wie mit dem Bulldozer platt: ein verulktes Märchen mit ausgestopften Tieren, schrillenden Telefonen und einer Oma mit Skistöcken.

Die Regisseurin Clara Weyde vom ebenfalls koproduzierenden Schauspielhaus Graz killt dagegen ohne Not die komisch-surreale Ausgangssituation in Eleonore Khuen-Belasis Debüt-Stück „ruhig Blut“. Statt drei Frauen, die auf Plastikstühlen am Bordstein sitzen und zusehen, wie der Asphalt vor ihnen aufbricht, hocken bei Weyde vier schwarze Spinnenweiber in einem Netz, das sich quer über die Bühne spannt. Klar, das Bild hat seinen optischen Reiz – aber es nimmt dem ohnehin diffusen Gerede über das Auseinanderbrechen der Welt vollends die Konkretion. Nichts als Diskurs­palaver.

Ein attraktives Aushängeschild für die neue Dramatik war diese „Lange Nacht“ also nicht. Die Juryvorsitzende Esther Boldt wollte Texte auswählen, mit denen man selbst „gemeint“ sei und die sich einem breiteren Publikum öffnen. Als einzige in der dreiköpfigen Jury (neben ihr: Schauspielerin Steffi Kühnert und Filmemacherin Valeska Grisebach) hatte sie alle Bewerbungen geprüft – und dabei offenbar nur Stücke nominiert, in deren zeitgeistigen Stimmungen sie sich und ihre Generation wiederfand. Blieben dabei ­substanziellere, widerständige Perspektiven womöglich unberücksichtigt?

Eine solche Auswahl bestätigt den Verdacht, dass der theaterbetriebsunabhängige Autor, der nicht die gängigen Diskurse wiederkäut, an den Bühnen kaum noch gesucht wird. Kommt es zur Auseinandersetzung zwischen Regie und Autor, hat der Text ohnehin verloren – die Machthaber am Theater sind die Regieführenden.

Zwei Beispiele. Schon im vergangenen Jahr hatten die ATT Björn SC Deigners Stück „In Stanniolpapier“ geradewegs ins offene Messer laufen lassen, indem man Sebastian Hartmann mit der Regie beauftragte – den Spezialisten für eigenmächtige Inszenierungen, die Texte wie loses Material behandeln. Aus der empathisch erzählten Biografie einer Prostituierten machte Hartmann eine Porno-Video-Hölle, die Protagonistin reduzierte er zum Sexobjekt. Deigner zog die Uraufführungsrechte zurück – mehr konnte er für sein Stück nicht mehr tun.

Gleiches tat im April Mario Salazar am Berliner Ensemble. Sein Stück „Amir“ war im „Autoren-Programm“ entstanden, bei dem „in enger Zusammenarbeit zwischen den Autor*innen und der Dramaturgie, der Leitung sowie den Schauspieler*innen des Hauses“ Theatertexte entstehen sollen. Mit der Uraufführung betraut wurde Nicole Oder, eine Regisseurin, die für ihre frei entwickelten Projekte am Heimathafen Neukölln mit Kiez-Schauspielern bekannt ist.

Auch „Amir“ spielt in Neukölln, die Hauptfigur gerät wegen fehlender Arbeitserlaubnis immer tiefer ins Bandenmilieu. Oder und ihrem Team war der Plot – womöglich zu Recht – nicht „authentisch“ genug. Als Salazar kurz vor der Premiere zu einer Probe vorgelassen wurde, waren von seinem Stück nur noch ein paar Grundlinien übrig. Der Autor war empört, man einigte sich schließlich auf die Sprachregelung: „nach Motiven des Dramas von Mario Salazar“.

Intendant Oliver Reese, der mit dem Label „Gegenwärtiges Autorentheater“ gern Werbung macht, begründet auf Nachfrage die Wahl Oders mit deren „Kompetenz in Sachen migrantisches Leben in dieser Stadt“. Besprochen gewesen sei, dass sie eine eigene „Berliner Fassung“ erstelle – erst kurz vor der Premiere habe er registriert, dass diese Fassung sich weit vom Stück entfernt hatte. „Was tun Sie dann als Intendant?“ Die Inszenierung fand er, wie übrigens auch die meisten Kritiker, geglückt.

„Als Dramatiker hat man keinen Platz mehr am Theater“

Mario Salazar

Für eine gelungene Regiearbeit lässt der Intendant dieses „Autorentheaters“ seinen Dramatiker also über die Klinge springen und sieht sich nicht in der Lage, ihn, dessen Stück er in Auftrag gegeben und für gut befunden hat, vor der Regie zu verteidigen. Salazar resigniert: „Als Dramatiker hat man keinen Platz mehr am Theater.“

Statt Defizite eines neuen Stücks durch intensive Textbetreuung auszugleichen, setzt die Regie heute zumeist nur ihre eigenmächtige Handschrift durch. Immer mehr scheint es, als komme jener Dramatiker, der nicht in der Filterblase des Hauses mitschwimmt, sondern als Stimme von außen zur produktiven Betriebsstörung wird, dem Theater äußerst ungelegen. Unkomplizierter, konfliktfreier laufen halt die Rädchen im Getriebe, wenn die Regie den Text mit dem Ensemble selbst entwickelt, wie derzeit gang und gäbe. Selten allerdings entsteht dabei eine sprachlich verdichtete, komplexe Arbeit – meist dominiert der Flach-Sprech.

Aber es sind ja nicht nur die neuen Dramen, die der omnipotenten Regie im Wege stehen – auch die Texte des sogenannten Kanons sind auf dem Rückzug. Beim Theatertreffen wurde diesmal kein einziges Original-Drama gespielt – dafür Stückentwicklungen, Textkompilationen, Roman- und Filmadaptionen. Klar, ein Kanon muss sich verändern, wenn seine Stücke nichts mehr über unsere Welt mitzuteilen haben – doch manchmal wirkt es, als weiche die Regie schlicht den Widerhaken dieser großen Texte aus. Und als fehle den Dramaturgien das schiere Wissen um gute Stücke. Dass sich inzwischen sogar eine Tageszeitung, die FAZ, aufgerufen fühlt, den dramaturgischen Abteilungen Nachhilfe zu erteilen und das Theater mit Stück-Exhumierungen an den Reichtum der literarischen Tradition zu erinnern, sagt alles.

Apropos Theatertreffen: Der dortige Stückemarkt, ursprünglich eine Veranstaltung, die vielversprechende Autoren vorstellte, hat in den vergangenen Jahren alle Relevanz verloren, seitdem eine Promi-Jury (die diesmal von den 360 Einsendungen aus 65 Ländern nur rund 30 Übersetzungen zur Prüfung vorgelegt bekam!) auf ein Sammelsurium aus Performances und Texten aus aller Welt setzt, die sich jeder Vergleichbarkeit entziehen.

Wenn also oft nicht einmal Autorenförderungs-Programme ihren Dramatikern den roten Teppich ausrollen können, muss man womöglich Mario Salazar recht geben: „Inszeniert man seine Stücke nicht selbst, muss man davon ausgehen, dass sie nicht auf der Bühne landen.“

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