berliner szenen: Imaginäre Zigaretten austreten
Der Twist, erklärt der Historiker Bodo Mrozek am Dienstagabend bei der Vorstellung seines neuen Sachbuchs „Jugend – Pop – Kultur“ im Roten Salon, sei der erste Gesellschaftstanz, den man autark tanzte, ohne Körperkontakt zum Partner oder der Partnerin. Das sei eine Zäsur in Sachen körperlicher Selbstbestimmung gewesen – selbst beim bis dato als revolutionärer Tanz geltenden Rock ’n’ Roll gibt es schließlich einen Tanzpartner, der führt, und eine Tanzpartnerin, die folgt, sowie bestimmte Bewegungen, die aufeinander abgestimmt und angewiesen sind. Der Twist dagegen ist sozusagen der Ausdruckstanz der Post-Rock-’n’-Roll-Ära. Zudem geht er ganz einfach: Man stelle sich vor, sich nach dem Duschen mit einem Handtuch abzutrocknen, und zwar vor allem den Hintern – man führt das Handtuch mit beiden Händen hinter dem unteren Rücken hin und her, während die Füße imaginäre Zigaretten austreten.
Nach der Buchpremiere lümmle ich noch etwas in dem – wegen fehlender echter Zigaretten seltsam klaren – Ex-Mitte-Hotspot herum und übe, mich so krumm zu halten, wie es die von Mrozek im Buch beschriebenen ersten Halbstarken, Eckensteher und Vorläufer der twistenden Jugendlichen schon seit dem 19. Jahrhundert trieben. Und es immer noch treiben: Berlin ist voll von halbstarken EckensteherInnen. In der U-Bahn nach Hause lümmelt passend in der Ecke ein echter Halbstarker mit Bluetooth-Stöpseln im Ohr und lästert telefonisch über einen lümmelhaften Kumpel. „Ey, der Typ ist echt ’n Peilo-Kiffer!“, sagt er, bevor wieder leise Beats aus den Stöpseln dringen. Peilo-Kiffer sind die Lümmel und Nichtsnutze der Post-Post-Post-Rock-’n’-Roll-Ära. Aber was hören sie – Twist? Als ich einen Blick auf das Handydisplay des Bluetooth-Halbstarken erhasche, lese ich: The Notwist. Twist oder Notwist, das ist hier also nicht die Frage. Jenni Zylka
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