: Hertha noch mit allen Chancen
Zu den größten Fehlern des Fußball gehört die Unsitte, befeuert mit des Bieres betäubendem Ernst, aus ersten Ergebnissen Prognosen abzuleiten, und deshalb vorschnell in Depression zu verfallen oder in Euphorie auszubrechen. Trainer wissen das: Sie haben dafür den Begriff der Momentaufnahme erfunden. Heißt: Alles sei vorerst ohne weitergehende Bedeutung. Auch das richtige Leben lehrt: Es kommt oft anders, und zweitens auch noch, als man denkt. Die Geschichte lehrt, wie fatal es ist, aus ein paar Toren, zumal nach gerade einem Viertel der Saison, einen Saisonverlauf zu destillieren. Beispiel Leverkusen: Die begeistern gern lange Zeit, um triumphal doch nur Zweiter zu werden. Oder sie dominieren eine Hinrunde, wie noch 2008, um dann komplett einzubrechen. Beispiel HSV und sein umjubelter Heilsbringer Zé Roberto. Der könne nur sommers wirbeln, hat Uli Hoeneß neulich prophezeit, und der Manager des ruhmreichen FC Allesbesserwissen hat mit Zé viele unbrasilianische Winter durchgestanden.
München ist selbst ein gutes Beispiel: Drei Pflichtspiele waren sie trotz niederländisch-bajuwarischer „We zijn we“-Mentalität ihres vorturnenden Buchautors ohne eigenes Tor. Ein viel belachtes Desaster für ein Team, das so fett mit hochdekorierten Angreifern gespickt ist, dass ein Rehbraten neidisch wäre. Jetzt haben sie, in Freiburg, gleich zwiefach getroffen. Allerdings ist der FC Krisen-Bayern deshalb nicht gleich wieder Ligadominator, zumal ein halbes und ein volles Eigentor die Nulltreffer-Ewigkeit beendete.
Oder Hertha BSC. Schießbude, Resignation, Untergangsstimmung, SPD des Fußballs? Womöglich am Ende schlechtester Berlin-Absteiger aller Zeiten? Dieser Makel ist durchaus noch vermeidbar. Im historischen Duell mit Tennis Borussia (Gastspielsaison 1974/75) hat Hertha am Samstag allerdings Boden verloren. TeBe hatte nach acht Spielen (nach heutiger Dreipunkterechnung) auch nur drei Zähler, nach neun Spielen indes schon sechs. Hertha, der Fastmeister 2009, hat dafür das bessere Torverhältnis und in Nürnberg drei eher alltägliche Gegentore kassiert, nicht mehr drei solcher Lachnummern wie vor 14 Tagen gegen den HSV.
Trainer Funkel, hoch erfahren in Niedergängen, weiß um die zweite Hoffnung: Tasmania 1900 aus der Saison 1965/66. Der schlechteste Erstligist der Geschichte bejubelte zwar nach neun Spieltagen stolze vier Punkte, hatte aber erst lächerliche sechs Tore erzielt (Hertha derzeit schon sieben). Am Ende stand Tasmania bei zehn Punkten. BERND MÜLLENDER