die zeile: Der Sozialismus in seinem Lauf
Eric Wallis, Jahrgang 1980, bloggt als Wortgucker bei Facebook und Twitter über die Wirkung der Sprache in der Politik. Er hat über Kampagnensprache und Framing promoviert und arbeitet jetzt als Kampagnen- und PR-Manager.
Worte können in Mode sein – nicht nur in der Jugendsprache und unter den Unwörtern des Jahres, sondern auch in den Nachrichten. Je nach Großwetterlage tauchen Begriffe immer wieder auf – oder eben gar nicht. In unregelmäßigen Abständen nimmt unser Kolumnist die Modewörter der News auseinander
Schuld sind Kevin Kühnert und Robert Habeck. Habeck sprach von „Enteignungen“. Kühnert outete sich als Sozialist, der sich durchaus vorstellen kann, dass große Industrien nicht nur den Aktionären, sondern sogar dem Gemeinwohl dienen. Beide haben erkannt, dass Deutschland ein Gerechtigkeitsproblem hat. Leider haben sie der gerechten Sache am Ende wohl doch geschadet. Schuld daran ist ihre Wortwahl und das damit aktivierte Framing. Die Wörter „Enteignungen“ und „Sozialismus“ lagen einfach noch nicht lang genug im Abklingbecken der Geschichte.
Schaut man in ein beliebiges deutsches Lexikon, dann ist Kapitalismus meist eine „Gesellschafts-Ordnung“ und Sozialismus eine „Ideologie“. Das wissen Kühnert und Habeck natürlich. Sie nutzen die Begriffe, um sich bei der eigenen Zielgruppe zu profilieren. Vorzuwerfen ist ihnen das nicht, denn das ist ihr Job. Kritisieren kann man aber den angestoßenen Diskurs. „Woran der Sozialismus immer wieder gescheitert ist“, „Kühnerts Utopie: Sozialismus als Phrase“, oder die Titelgeschichte in der FAZ-Woche „Über den neuen Sozialismus“. Der Cicero präsentiert sogar einen SPDler, der seinen Gastbeitrag übertitelt mit „Sozialismus ist keine Meinung, sondern ein Verbrechen“.
Die Konservativen treibt das Framing in die Angst. Die linksliberaleren Medien treibt es in die Verteidigung. Der Sozialismus tötete millionenfach. Ja, aber der Kapitalismus auch. Der Sozialismus ist ein Verbrechen. Ja, aber der Kapitalismus auch. Der Sozialismus hat auch sein Gutes. Ja, aber der Kapitalismus auch. Mehr gibt die mediale Debatte kaum her. Durch das Framing verschwinden alle in ihren ideologischen Bunkern. Warum reagieren fast alle Medien so impulsgesteuert? Werden die Inhalte dadurch besser verkauft? Hat es den Lesenden was gebracht? War es wenigstens unterhaltsam?
Warum stellen Medien nicht die eigenen Impulse infrage? Das beginnt dort, wo sich die eine Seite aufmacht, um zu verstehen, warum die andere „Sozialismus“ gesagt hat. Und die andere sich aufmacht, um zu verstehen, warum die eine so viel Angst davor hat. Wäredoch interessant und passte auch besser in das Deutschland von heute. Vielleicht wäre das sogar der Weg zu einem echten Diskurs. Eric Wallis
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