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Wie man um jede Pointe elegant herumtänzelt

Keiner hat die Kunst der abschweifenden Alltagsbeobachtung so in die Perfektion getrieben: „Ein Auftrag für Otto Kwant“ von Jochen Schmidt

Otto Kwant betrachtet gern Plattenbauten Foto: Anja Lehmann/Ostkreuz

Von Susanne Messmer

Das Allerbeste an diesem Roman ist die Hauptfigur, die man in Artikeln wie diesen normalerweise Held nennen würde. Nur leider ist Otto Kwant das genaue Gegenteil von einem Helden, und ein Antiheld ist er auch nicht. Er ist vielmehr ein blasser Spross einer Architektendynastie („sein Vater hatte zahlreiche brutalistische Betonkirchen entworfen“) und ergo Architekturstudent, zweifelt aber schwer an allem, was er tun sollte, und verschiebt es darum fortwährend auf morgen. Eigentlich würde er am liebsten über die Planung von Spielplätzen nachdenken, die anders sind als alles, was man so kennt, vielleicht aber auch nicht, denn irgendwie steckt er in seinen Überlegungen dazu fest, und außerdem muss er leider auch, um seinen Lebensunterhalt zu bestreiten, Texte für den Kleinstverlag „Augenschmaus“ Korrektur lesen, die so öde sind, dass er die ganze Zeit mit dem Cursorpfeil nach Obstfliegen auf dem Bildschirm sticht.

Otto Kwant ist ein Mann, der nirgends mitmacht, weil er die Welt, die ihn umgibt, viel zu klar sieht, als sich auf irgendwas einzulassen zu wollen. Deshalb ist er aber auch geradezu zwangsneurotisch auf seine Körperfunktionen fixiert, die ihn besonders dann im Stich lassen, wenn er doch ab und an mit der Wirklichkeit in Kontakt treten muss – weil „Ein Auftrag für Otto Kant“ darüber hinaus auch noch ein Roman ist, und in Romanen nun mal irgendwas passieren soll, schmeißt sein Autor, Jochen Schmidt, diesen sympathischen Otto Kwant in ein „Bad in der Banalität“.

Jochen Schmidt: „Ein Auftrag für Otto Kwant“. C. H. Beck Verlag, München 2019. 347 Seiten, 23 Euro

So ungefähr auf Seite 60 finden sich Kwant in einem Flugzeug in ein fiktives zentralasiatisches Land namens Urfustan wieder, in das er einen selbstverliebten Stararchitekten begleiten soll, der dort den Wettbewerb um den Bau der Deutschen Botschaft gewonnen hat. Von nun an hat Otto Kwant immer weniger Gelegenheit, sich um seinen Körper zu sorgen, und immer wenn man glaubt, dass es kaum abs­tru­ser werden kann, schlittert er in noch blödere Situationen, verhandelt zuerst mit dem Präsidenten, dem amerikanischen Botschafter und der Exilregierung auf einmal, landet dann im Umerziehungslager und schließlich in einer Kolonie Russlanddeutscher, die von Stalin in diese trostlose Gegend verschleppt wurden und irgendwie nie den Rückweg in eine wirtlichere Welt gefunden haben.

Der in Ostberlin aufgewachsene Jochen Schmidt, der übrigens auch hin und wieder Texte für diese Zeitung schreibt, wurde am Tag des Mauerfalls 19 Jahre alt. Nach der Wende hat er in Berlin eine der besten Lesebühnen mitgegründet, die leider 2015 Schluss machte, die Chaussee der Enthusiasten. Das hat bis heute viel Einfluss auf seine Texte. Denn nach wie vor gehört es zur angenehmen Kultur von Lesebühnenautoren wie ihm, die Routine, die „Professionalität“ des literarischen Establishments zu meiden. Alles, was man heute im Creative Writing lernen würde, stinkt: der anständige Plot zum Beispiel. Oder auch der Konflikt. Hinzu kommt, das Jochen Schmidt immer einen Tick „ehrgeiziger“ war als seine Lese­bühnen-Mitstreiter: Keiner hat die Kunst der abschweifenden Alltagsbeobachtung so in die Perfektion getrieben wie er. Während andere eher in dieser Hinsicht von Pointe zu Pointe springen, um möglichst viele Lacher einzukassieren, macht Jochen Schmidt vor jeder Pointe Halt und beginnt, elegant um sie herumzutanzen.

Immer wenn man glaubt, abstruser kann’s kaum werden, schlittert er in noch blödere Situationen

Wahrscheinlich ist es das, was Leser bei seinem vierten Roman als ermüdend beschreiben werden, als verdreht. Anstatt Otto Kwant ausreichend oft in die Konfrontation mit der Bevölkerung Urfustans zu schubsen, lässt Jochen Schmidt ihn ausruhen und seine bedrohliche Umgebung immer nur weiter betrachten. So kommt es, dass man zwar amüsiert ist, aber auch Mühe hat, nicht in Konventionen zurückzufallen, etwa nach Dialogen zu gieren, vielleicht sogar nach einer weiteren Liebesbeziehung. Jochen Schmidt lässt einen kaltblütig zappeln und beschreibt immer weiter die Plattenbauten, Verkehrsinseln und Denkmäler, den absonderlichen Umgang der Stadt- und Landbewohner mit den unendlichen Leere ihrer Städte und Landschaften.

Manche Kritiker haben Jochen Schmidts Roman als Plädoyer für eine menschliche Architektur gelesen, aber das ist Quatsch. Vielmehr versucht „Ein Auftrag für Otto Kwant“ einen schwachen Mann zu beschreiben, den die vordergründige Sicherheit unserer Welt wahnsinnig verunsichert: so wie die Kinder, für die er gern Spielplätze bauen würde. Und am Ende geschieht, was geschehen muss: Die abenteuerliche Reise nach Absurdistan, sie bekommt nicht die Funktion, die sie in anderen Romanen hätte. Der schwache Mann geht nicht gestählt, geläutert oder auch nur irgendwie verändert aus ihr hervor. Otto Kwant geht einfach nur verschütt. Und das ist natürlich sehr, sehr lustig und schön.

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