: Mit Touristenvisum
Befindlichkeitskino vor exotischer Kulisse: Bertrand Taverniers Spielfilm „Holy Lola“ folgt einem Paar mit Adoptionswunsch nach Kambodscha
VON CLAUDIA LENSSEN
Ein Problemfilm als Komödie und Abenteuerstück: Das Problem ist die Befindlichkeit von französischen Paaren, die in Kambodscha ein Adoptivkind suchen, die Komödie ihr Palavern im breit ausgemalten Milieu eines Hotels und Betroffenen-Stützpunktes in Phnom Penh, das Abenteuerliche ihre Unkenntnis in der asiatischen Fremde, vor allem ihr Ärger mit Kinderhändlern und korrupter Bürokratie. Drehort hätte auch Mali sein können oder Indien, wenn die Genehmigungen dort bezahlbar gewesen wären, erklärt der Regisseur Bertrand Tavernier in einem Interview. So schrieb seine Tochter Tiffany ein pralles Filmskript zum Adoptionstourismus in Kambodscha. Was die Autoren dabei am meisten zu interessieren schien: Wie bewältigen typisierte Durchschnittsfranzosen emotionalen Stress, ohne vollends den Pegelstand eines durchgeknallten Louis de Funès zu imitieren?
Im Mittelpunkt steht ein Paar um die dreißig, Pierre und Geraldine (Jacques Gamblin und Isabelle Carré), die elf Jahre tapfer mit den Tücken der Fertilitätsmedizin gekämpft haben und sich nun entschlossen beziehungsweise elfenhaft sensibel in die Kambodscha-Expedition stürzen. Noch, betont der Film, sind persönliche Recherchen und Adoptionsbegehren in diesem Land nicht verboten, was offensichtlich die Spannungskurve heben soll.
Solange ihr Touristenvisum gilt, klappern sie Waisenhäuser ab, folgen den Gerüchten der Betroffenen-Szene, lernen seriöse und weniger seriöse Vermittler kennen und verstricken sich in Interessenkonflikte und Nervenkriege. Der Arzt will auf keinen Fall Kinderhändler bezahlen, seine Frau nimmt es nicht so genau in dem Moment, wo sie sich spontan in ein bestimmtes Baby verliebt hat. Keine Szene wird daran verschwendet, solch eine plötzliche Wahlverwandtschaft mit dem exotischen Kindchenschema auf seine Hintergründe, seine Tiefe und Unwiderruflichkeit zu befragen. Die umkämpfte Holy Lola (benannt nach dem Waisenhaus, aus dem sie stammt) ist mit der kleinen Srey Pich Krang einfach zu schnuckelig besetzt.
Diejenigen Adoptionswilligen, die bereits ein Baby aus einem Waisenhaus vermittelt bekamen, leben als Probefamilien im Hotel zusammen, jagen den ärztlichen und amtlichen Stempeln hinterher, schließlich den konsularischen Formalitäten für die Rückreise samt Kind. Am Ende spielt Tavernier sogar die alberne Karte aus, als der energische Adoptivpapa gegen eine stotternde Fax-Maschine antritt, um im finalen Showdown auch den Schlendrian beim französischen Konsul in Phnom Penh zu besiegen. Die Uhr des Protagonistenpaares läuft, während die Oma in spe die Landarztresidenz zu Hause in der idyllischen Auvergne mit Spielzeug ausstattet und den Christbaum schmückt.
Mehr als zwei Stunden lang folgt man dem Paar per Taxi und Moped durchs Land, sieht es zu den Babyräumen diverser Waisenhäuser vordringen, bei den Direktoren vorsprechen und freundlich passiven Kinderschwestern über die Schultern schauen. Der Monsunregen nervt, die Gerüchteküche brodelt, Beziehungs- und Gruppenknatsch häuft sich in hektischer Folge. Mit jedem Szenenwechsel springt man in weitere Nebengeschichten, kurz: Kambodscha ist eine malerische Kulisse für lauter tragikomische Stereotyp-Franzosen, deren selbstgenügsamer Spielwut Tavernier freien Lauf lässt.
Geschichten über Krieg und Genozid werden von Einheimischen wie Anekdoten eingestreut, die man kennen muss, um richtig erschüttert zu sein. Kinder werden besichtigt, die auf Müllhalden schuften. Ein kurzer trauriger Blick gilt den aidskranken Kindern, die nur noch ein Jahr zu leben haben. Versonnen greifen mal Geraldine, mal Pierre nach ihrem Minirecorder und lamentieren im Angesicht exotischer Kulissen von ihrer Sehnsucht nach ihm oder ihr, dem Kind, das schon da ist, ohne dass sie es kennen.
Bertrand Tavernier dreht Filme seit 1974, darunter immer wieder Studien über den französischen Sozialcharakter in heiklen historischen Situationen. „Holy Lola“ exportiert dagegen eine selbstverliebte Naivität. Eurozentristisches Gutmenschentum lädt aufdringlich und borniert zur Identifikation ein.
„Holy Lola“. Regie: Bertrand Tavernier. Mit Isabelle Carré, Jacques Gamblin u. a., Frankreich 2004, 128 Min.