: Wirklich vom Leben gezeichnet
Eine inspirierte Aneigung: In seiner Graphic Novel „Grosz“ folgt Lars Fiske dem Leben des Dada-Künstlers bis in dessen Strichführung hinein
Von Ralph Trommer
Tumult, Krawall, Gewimmel. Sich kreuzende und überschneidende Tuschelinien, über- und hintereinandergestaffelte Passanten, Kriegsversehrte, Nutten, geil-gierige Kapitalisten, öde Mietskasernen und Herren mit Hüten an Cafétischen. Die während des Ersten Weltkriegs und in der Weimarer Republik entstandenen Zeichnungen und Grafikmappen von George Grosz – gebürtig Georg Groß (1893–1959) – zählen zum Kern seines Werkes.
In ihnen fing Grosz den Zeitgeist unmittelbar, ja erbarmungslos ein und verdichtete ihn zugleich auf eigene Weise. Die vor unterschiedlichen Figuren und Handlungen übervollen Wimmelbilder zeigen ein Menschen-Chaos im großstädtischen Rahmen und bilden auf analytisch-satirische Weise Variationen des menschlichen Pandämoniums ab. Raub- und Lustmorde sind an der Tagesordnung, die Gesellschaft ist in Arm und Reich gespalten. Politische Seitenhiebe gegen die Obrigkeiten, das Militär oder die Kirche sind gewollt.
George Grosz befand sich als Karikaturist wie als scharf beobachtender Zeichner und Maler im Herz der Kunstszene der Weimarer Republik, er beteiligte sich an sozialistisch-kommunistischen Manifesten wie an Dada-Kunstaktionen. Als Zeichner kümmerten ihn nicht mögliche juristische Folgen, er musste mehrere gerichtliche Auseinandersetzungen um Motive führen, die damals wie sein Jesus am Kreuz mit Gasmaske (in der Grafikmappe „Hintergrund“, 1928) Anstoß erregten.
Der 1966 in Oslo geborene Comiczeichner Lars Fiske machte in den letzten Jahren bereits durch zwei Graphic Novels über Künstler auf sich aufmerksam, die in den 1920er Jahren in Deutschland wirkten: den (wie Fiske aus Norwegen stammenden) Simplicissimus-Karikaturisten Olaf Gulbransson („Olaf G.“, 2007) sowie den Dada-Künstler Kurt Schwitters („Herr Merz“, 2013 – beide Bände erschienen im Avant Verlag). Nun hat er sich also das Enfant terrible der Weimarer Republik George Grosz vorgeknöpft, um in „Grosz“ dessen wesentliche Lebens- und Schaffensperioden in flott erzählten Kapiteln nachzuzeichnen.
Das setzt etwa 1914 ein, beinhaltet seine kurze Zeit als freiwilliger Soldat während des Ersten Weltkrieges (die mit der frühen Entlassung wegen Untauglichkeit endet), die Novemberrevolution in Berlin, die Dada-Bewegung und die Zusammenarbeit mit John Heartfield und dessen Bruder Wieland Herzfelde. In der Weimarer Republik wird Grosz bald zu einem populären „Feindbild“ der Nazis. Weitere Kapitel erzählen von Grosz’ Emigration in sein Sehnsuchtsland Amerika kurz vor der Machtübernahme der Nazis und der späten Rückkehr nach Berlin 1959.
Grosz’ Persönlichkeit wird pointiert eingefangen: als junger, hedonistischer Dandy, als Bürgerschreck, der in Pissoir-Graffitis Inspirationen für seine Werke findet, als Ehemann, Familienvater, harter Trinker und leidenschaftlicher Porträtist von Frauenhintern.
Der Clou: Fiske imitiert exakt Grosz’ prägnanten, satirisch-karikierenden Zeichenstil, der sich meist auf dünne Tusche oder Kreidestriche auf Papier beschränkte. Bereits in „Herr Merz“ zeichnete er eine Episode in diesem Stil. Bei der Präsentation seines neuen Buches in Berlin erzählt Fiske, dass damals die Idee reifte, mehr „à la Grosz“ zu zeichnen.
Fiske gelingt nicht nur die perfekte Imitation: Grosz’ Liniengewirr, seine grotesken Typen und Geschichten werden geradezu lebendig in der Comicübertragung – man glaubt, der mit kantigem Schädel gezeichnete, stets Pfeife rauchende Grosz selbst habe Fiskes Feder geführt. Und auch dessen beißender, finsterer Humor scheint aus den Comicbildern zu sprechen, wenn etwa am idyllischen Strand Hakenkreuzfahnen auf Sandburgen gesteckt werden.
Vor allem rot und grün kolorierte Elemente (Grosz’ Krawatte, Embleme, Pfeile …) lockern die Ästhetik auf und setzen witzige Akzente – auch als historischer Verweis. „Diese Farben“, sagt Fiske, „wurden damals in dadaistischen Publikationen des Malik-Verlages, der von Grosz’ Freund Wieland Herzfelde geführt wurde, verwendet.“
Die einzelnen Kapitel werden, Stummfilm-Zwischentiteln ähnlich, jeweils mit prägnanten Zitaten von Grosz eingeleitet und tragen Überschriften wie „Dekadenz“, „Amerikanismus“ oder „Ecce Homo“, die an dessen Grafikmappen erinnern.
Der Verzicht auf Sprechblasen- und Erzähltexte – von in den Bildern integrierten künstlerischen und politischen Slogans abgesehen – steigert die Dynamik und macht „Grosz“ zu einer visuell vergnüglichen biografischen Annäherung an ein künstlerisches Genie. Auf humorvolle Weise werden die Licht- und Schattenseiten eines Künstlerdaseins, das zwischen Boheme, Familienglück und exzessiven Sauftouren mit Künstlerfreunden oszillierte, eingefangen. George Grosz litt gegen Ende seines Lebens unter Depressionen und seiner Alkoholsucht, nach einem letzten Besäufnis starb er durch einen Treppensturz.
Lars Fiske hat sich des Grosz’schen Zeichenstils in kongenialer Weise bemächtigt und ihn grafisch dezent modernisiert. Seine eigene Handschrift scheint vor allem dann durch, wenn er die Ironie und (Tragi-)Komik der Geschehnisse auf pointierte Weise mittels weniger Bilder herausarbeitet.
Damit hebt er sich auch von vielen anderen, eher uninspirierten biografischen Graphic Novels ab, die oft brav die Lebensstationen nacherzählen und keine künstlerische Verdichtung erreichen. George Grosz hätte seine Freude an diesem Comic gehabt.
Lars Fiske: „Grosz“, Avant Verlag, 80 Seiten, 25 Euro
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