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Archiv-Artikel

Ohne blöde Innerlichkeit

ANTI-FOLK Jeffrey Lewis schreibt in seinen Songs Geschichte – von der Oktoberrevolution bis Punk. Mit seiner Band The Junkyard spielt er in Bremen und zeigt vielleicht auch Comics

Jeffrey Lewis ist die fleischgewordene Antithese zu allem, was man gemeinhin mit Rock assoziiert

VON BENJAMIN MOLDENHAUER

Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass Dissidenz und Außenseitertum dort, wo sie im Pop mehr als unverbindliche Gesten sind, heute irgendwie zwangsläufig mit einem Blick zurück einhergehen. Ganz so, als hätte das Relevante im Wesentlichen schon stattgefunden. Das Jetzt wird nur noch selten beschworen, wer mit Konsequenz ausschert, beruft sich nicht mehr darauf, vorneweg und dem Alten überlegen zu sein, sondern bezieht sich auf die Vergangenheit.

Jeffrey Lewis hat die Geschichtsversessenheit in vielen seiner Songs zum Programm erhoben. „The History of The Fall“ reißt in knapp drei Minuten die Geschichte der Band um Mark E. Smith runter, „A History of Rough Trade Records“ die des eigenen Labels, „A Brief History of Communism Part I–III“ (mit Fokus auf der Oktoberrevolution) erklärt sich von selbst, und mit dem achtminütigen „A Complete History of Punk“ bastelt Lewis sich seine eigene Genealogie.

Beginnen wir also mit einem Blick zurück. Was war noch einmal Independent? „Independent-Musik“, schreibt Martin Büsser in seinem Buch „Antifolk“, „ist immer als Ausdruck von ‚Teenage Angst‘ beschrieben worden, als Widerspiegelung der Sorgen orientierungsloser Mittelschichts-Kids“ – der Außenseiter also, die für das Football-Team (respektive die Fußballmannschaft) zu schmalbrüstig, für den Schachclub aber zu faul (und dann vielleicht auch doch wieder zu cool) waren. „In den besten Momenten gelingt Independent-Musik damit ein offenes Bekenntnis, nicht cool sein zu können – woraus sie gleichzeitig oft ihre Coolness schöpft –, dargeboten mit einer Musik, die bewusst schlaff, apathisch, schüchtern oder zittrig gehalten ist.“

Hier knüpft Jeffrey Lewis, wenn auch nicht eben apathisch oder schüchtern, an. „Going bald is the most manly thing I’ll ever gonna do“ – eine Glatze zu bekommen, ist das Männlichste, was ihm je passieren wird –, heißt es in einem der schönsten Stücke des neuen Albums „Em Are I“. „To Be Objectified“ ist ein Liebeslied. Die Musik klingt verhuscht, der Gesang teilnahmslos und umschifft so den larmoyanten Habitus, der viele Singer/Songwriter auf Dauer so enervierend klingen lässt. Der Wunsch, wahrgenommen zu werden, manifestiert sich in denkbar unheroischen Textzeilen, in denen das Peinliche und Peinvolle nüchtern konstatiert werden: „It would be such a relief to be objectified“.

Jeffrey Lewis ist so etwas wie die fleischgewordene Antithese zu allem, was man gemeinhin mit Rock assoziiert: Männlichkeit, Lautstärke, Durchsetzungsvermögen. Scheitern ist nicht mehr angstbesetzt, sondern wird zelebriert: „The Complete History Of Jeff’s Sexual Conquests, Vol. I“, ist, obwohl ein immerhin siebenminütiger Song, eher überschaubar ausgefallen.

Die Szene, aus der Lewis kommt, wurde vor ein paar Jahren als „Antifolk“ durch die Musikpresse gereicht. Ein zwiespältiger Begriff, schließlich bezogen sich eigentlich alle Protagonisten, die sich bei den „Open Mic Sessions“ im Sidewalk Café am Tompkins Square Park versammelten, positiv auf Folktraditionen. Auch die Gleichung Antifolk = Folk + Punk geht nur bedingt auf. Warum Punk, zumindest in New York, zwar Anti-Stadionrock, aber nie Anti-Folk und auch nicht wirklich Anti-Hippie gewesen ist, kann man bei Martin Büsser nachlesen. Man traf sich in der gemeinsamen Haltung: Man muss sein Instrument nicht, wie es so schön heißt, beherrschen können, um Musik machen zu können.

Zur Beschreibung von Lewis’ Musik ist die Genealogie tatsächlich die beste Form. Antifolk wurzelt im New Yorker Underground der 1960er Jahre. Folk amalgamierte an der Lower East Side mit freien musikalischen Formen, Noise, Kifferhumor und politischem Aktivismus. Die Ahnenreihe wird in „A Complete History of Punk“ in Hochgeschwindigkeit runtergerasselt: Harry Smith („a beatnik weirdo living in New York City“), Bob Dylan („doing intellectualized copies of the old folks“), Holy Modal Rounders („with weird voices and drug jokes“), The Fugs („Lo-fi noisy shit about poetry, sex and drugs“), The Velvet Underground („went electric and made folk-punk even more beautiful and more extreme“), Silver Apples („it doesn’t sound like punk or anything else but it sounds great“) – und so weiter. Punk, Folk und Noise sind in dieser Erzählung miteinander vertäut und ergeben eine Tradition, in der das folktypische Innerlichkeitspathos recht gut umschifft werden konnte, eben weil Musik und Texte für das tiefempfundene Echte immer wieder einfach zu komisch waren. Die Lust am Verweisen und Zitieren bewahrt Lewis’ Kunst – neben zahllosen Platten, CD-Rs und Tapes eine inzwischen ebenfalls kaum noch zu überblickende Masse an Comics – vor blöder Innerlichkeit. Und doch wirkt diese Musik, trotz aller Witze und Referenzen, in ihrer Brüchigkeit immer wieder ungemein berührend.

■ Jeffrey Lewis & The Junkyard: Donnerstag (heute), 21 Uhr, Spedition