europaplatz: Rick Reutherin Wien
In ganz Europa gibt es Europaplätze, von Lissabon bis Vilnius. Aber ist an diesen Orten auch Europa? Und wenn ja, wie viel? Lyriker*innen und Autor*innen haben sich für uns auf die Suche begeben. (taz)
Der Europaplatz in Wien ist mega unspektakulär. Es handelt sich einfach um den Parkplatz vorm Westbahnhof. Taxis, Tschick-Stummel und Tauben. Im September 2015 sind ziemlich viele Geflüchtete am Westbahnhof angekommen, weil die Situation in Ungarn für sie unerträglich war und noch keine Rechtsextremen in der österreichischen Regierung saßen.
Einer von den Geflüchteten war A., der inzwischen ein sehr guter Freund geworden ist. A. kommt aus dem Grenzgebiet zwischen Afghanistan und Pakistan und hatte eine ziemlich harte Kindheit: Teile seiner Familie sind Taliban. Während ich mit 14 meinen ersten Kuss hatte, hielt A. mit 14 das erste Mal eine Kalaschnikow in der Hand.
Weil seine Mutter aber verhindern wollte, das A. zum Kämpfen gezwungen wird, schickte sie ihn 2015 nach Europa. In Österreich angekommen lebte sich A. schnell ein. Sprachkurse, Schule, Rotes Kreuz und Pfandfinder, die ganze Integrationsgeschichte. 2018 erhielt er dann sogar ein Stipendium für außergewöhnliche schulische Leistungen. Sein Ziel: Jurist werden und sich für Menschenrechte einsetzen.
2019 werden die meisten Fernzüge in Wien nicht mehr über den Westbahnhof, sondern über den Hauptbahnhof abgewickelt. Ach so, und die österreichische Regierung besteht aus rechten und rechtsextremen Menschenfeinden.
A. musste bis 2019 auf die endgültige Entscheidung über seinen Asylantrag warten. Vor einigen Wochen meinte dann der Richter, A. würde arg übertreiben, wenn er behaupte, die extremistischen Familienmitglieder würden ihn umbringen, wenn sie ihn finden würden. Und dass sie ihn fix finden würden, wenn er nach Afghanistan zurückmüsste.
Einen Antrag von A. bzw. seinem Anwalt, doch mal ein paar Menschen vor Ort nach A.s Familie zu befragen, wurde vom Richter abgewiesen.
A. ist seit einigen Tagen nicht mehr in Österreich. Und wenn mich wer fragt, was das Beste an Europa ist, dann sage ich: dass Frankreich momentan keine Menschen in Länder abschiebt, die nach Afghanistan abschieben.
Ich werde mich auch bald auf den Weg machen, um A. zu besuchen. Das mit Frankreich dachten wir alle. Heute wurde A. aber doch in Schubhaft genommen. F*** dich, Europa.
Rick Reuther ist ein 26-jähriger Piefke und wohnt seit sechs Jahren in Wien. Europa macht ihn gerade sehr traurig; er hat aber trotzdem gerade seine Briefwahlkarte abgeschickt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen