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Banane im Zickzack

Randständiges in Serie (2): Borussia Dortmund und FC St. Pauli eröffnenmit guten Ohren und tollem Raumverständnis die Blindenfußball-Bundesliga

Aus Stolberg Bernd Müllender

Samstagmorgen, der erste Spieltag der Blindenfußball-Bundesliga steht an. Auf dem Kopfsteinpflaster des Kaiserplatzes in Stolberg bei Aachen ist ein mobiler Kunstrasenplatz aufgebaut, 40 mal 20 Meter groß, Tore in Jugendgröße, mit stabilen Banden zur manuellen Orientierung. Drumherum: DFB-Zelt („Blindenfußball: Faszination. Inklusion. Respekt“), Telekomstand, Rotbullenwerbung, eine Tribüne für gut 300 Leute, mächtige Kastanien in voller Blüte. Die zwölfte Saison werden gleich Borussia Dortmund und der Vizemeister 2018 FC St. Pauli eröffnen.

Sechs Teams sind in der Liga an fünf Spieltagen dabei, dann hat jeder zweimal gegen jeden gespielt. Große Aufmerksamkeit bekam der Blindenfußball im September, als St. Paulis Serdal Celesi in der ARD-„Sportschau“ das Tor des Monats August erzielt hatte: mit einem Strahl von Schuss, aus dem Fußgelenk, voll in den Winkel. Celesi trägt die Nummer 10, er bekommt besonderen Applaus.

Der Torwart ist ein Sehender, alle anderen sind komplett blind oder haben nur eine minimale Restsehkraft. Alle tragen Sichtschutzbrillen und Kopfschutz, so sind die Bedingungen gleich: Dunkelheit total.

Die Zuschauer, knapp 100, sind um größtmögliche Ruhe gebeten, damit die vier Feldspieler pro Team die Bewegungen des rasselnden Balles gut verorten können. Und um die Anweisungen ihrer Guides von draußen (Coach, BetreuerIn) und dem Torwart mitbekommen: „Bande 2“ heißt zwei Meter bis zur Seite, „8, 6, 5“ beziffert die Entfernung zum Tor. Gibt es Freistoß, schlagen Betreuer gegen die Torpfosten aus Metall, klingkling, so ist die Richtung des Ziels vorstellbar.

Die Spieler selbst rufen „Hier“ und vor allem laut und ständig „Voy!“ Das ist spanisch und heißt: Ich komme, ich bin da. Voy! Das müssen sie den Regeln nach auch rufen, als Schutz vor Zusammenstößen. Unterlassen sie es (was ein paar Mal zu Crashs führte), gibt es Freistoß. Die beiden Schiedsrichter, im Normalleben schimpfte man sie womöglich „Blinde Säue“, pfeifen unerbittlich – vor allem zum Schutz der Kicker. Ein Audiobeweis ist allerdings unbekannt. Wie im Basketball gibt es aber persönliche Fouls und Teamfouls. Bei Unterbrechungen gibt ein Moderator kurze Erklärungen fürs Publikum.

Klar, manches geht schief, der Ball kullert, fliegt, keiner weiß genau, wo er hinrasselt. Dann steht mal einer fast frei vor dem Tor und tritt am Ball vorbei. Insgesamt aber sind Raumverständnis, Vorstellungsvermögen und die guten Ohren der Aktiven verblüffend. Enge Ballführung, technisch hochversiert. Wenn sie „eine Banane laufen“, wie das heißt, ist es besonders faszinierend. In leichtem Bogen mit enger Ballführung, Tikitaka mit sich selbst, links-rechts, in vollem Tempo das gegnerische Tor halb umkreisen. Und dann abziehen.

Ob die blinden Spieler vielleicht, das darf man sicher so formulieren, in die Zukunft schauen können? Frage an Dortmunds Jonas Hoffmann, ob der BVB bei den Sehenden-Fußballern, wie das im Jargon heißt, noch Meister werden könne: „Das dürfen Sie mich nicht fragen. Ich bin Bayern-Fan.“ Erstaunen. Hintergrund: Er und einige Mitspieler sind vor Jahren aus Würzburg zum BVB gestoßen. Gegenüber wird es derweil grotesk: Ein Einheimischer mit Blindenstock und einer grellgelben Kappe mit drei schwarzen Punkten tastet sich Richtung Tribüne. Ein Blinder kommt Blindenfußball gucken? „Ach“, sagt er, „zwei Prozent Sehkraft hab ich noch. Das reicht ganz grob für Schatten. Und ich kann das Spiel ja hören.“

„Meinen Ruhm habeich längst verdaut“

Serdal Celesi, Torschütze „Tor des Monats August 2018“

St. Paulis Goalie Matthias Gutzmann erklärt, er sei als Sehender durch Zufall zum Blindenfußball gekommen. „Ich habe mit Trainer Wolf Schmidt zusammen Handball gespielt. Der hat mich gefragt: Willste nicht bei uns? Und es ist so geil mit denen … Unser Langer, die Nummer 7, steht manchmal an der Bande, schirmt den Ball ab, und wenn du ihn fragst, kann er dir ganz genau die Situation auf dem Platz erklären.“

Überraschend entschuldigt Gutzmann „das schwache Niveau“ des Auftaktspiels. Bitte? „Bei den lokal aufgebauten Plätzen wie hier ist der Holzboden sehr laut, jeder Schritt macht klock-klock. Dann kann man den Ball und die Rufe nicht so gut hören.“ Aber so sei das eben bei den, wie er sagt, „Marketing-Spieltagen der Sepp-Herberger-Stiftung“. Der erste und der Final-Spieltag einer Saison sind immer irgendwo anders.

St. Paulis Nr. 6, Paulinho steht auf dem Trikot, eigentlich heißt er Paul Ruge, hatte schon früh das 1:0 geschossen. Und er entscheidet das Auftaktmatch gegen Dortmund auch in der letzten Minute. Ein bananiger Tempolauf, der Ball klebt am Fuß, rechts-links-rechts-links-rechts …, Zickzackdribbling sagen sie dazu, dann voll abgezogen, flach krachend in die lange Ecke: 2:0. Schon wieder eine Art Tor des Monats, und Mitspieler Serdal Celebi sagt danach zur taz: „Mein Ruhm ist längst verdaut. Wir gucken nach vorn. Wir wollen deutscher Meister werden.“

Später spielten Schalke (angereist im protzigen Gazprom-Bus) – MTV Stuttgart 2:0 und Blista Marburg – Viktoria Berlin 5:0.

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