piwik no script img

berliner szenenBrat mir einen Schwan

An einem Sonntagmorgen auf dem Weg zum Bäcker. Am Kanal sitzen drei Typen auf einer Bank und starren aufs Wasser. Hipsterbärte, Hipsterklamotten, leicht derangiert. Wohl lange Nacht gewesen. „Boah, jetzt so ’ne fette Gans, ey“, sagt plötzlich der eine und klingt hungrig. Mit glasigem Blick fixiert er einen Schwan, der majestätisch vorbeischwimmt. Seine Kumpels geben zustimmende Hungerschmatzgeräusche von sich. Keiner weist den ersten darauf hin, dass es sich bei dem Vogel gar nicht um eine Gans handelt.

Ich verzichte darauf, mich einzumischen; muss aber an den Gutshof Britz denken, wo ich einmal am Schafpferch neben drei fast erwachsenen Jugendlichen stand, aus deren Gespräch hervorging, dass sie die wolligen Tiere hinter dem Zaun für Ziegen hielten. Das machte mich traurig – nicht nur, weil es zeigte, wie naturfern Menschen in der Großstadt aufwachsen, sondern auch weil diese drei in ihrer Kindheit offenbar nie Shaun das Schaf gesehen hatten. Denn dann hätten sie die Tiere doch wiedererkannt. Oder?

„Das sind keine Ziegen, sondern Schafe!“, hörte ich mich laut sagen, wohl von einem pädagogischen Impuls getrieben. Skeptisch drehten die drei ihre Köpfe zu mir. „Sind Sie sicher?“, fragte das eine Mädchen. „Todsicher“, sagte ich, „Ziegen haben nicht so ’ne Wolle! Das sind Pommersche Landschafe. Steht auch da drauf“, und zeigte zur Unterstützung meiner fachlichen Autorität auf die große Tafel, die neben dem Pferch stand. Liebevoll zusammengestellt mit Bildern von den Tieren, die auf dem Gutshof leben, und einer kleinen Textlegende von ein, zwei Sätzen neben jedem Bild. Verdutzte Blicke folgten meinem Finger. Da rief der Junge aus: „Manno, soll man das etwa alles lesen!“ Wie auf Kommando fingen alle drei an, spöttisch zu kichern.

Katharina Granzin

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen