: Warum Kinder Laufräder brauchen
Heute beginnen Kinder früher mit dem Fahrradfahren, weil sie mit Laufrädern die Motorik trainiert haben. Damit seien sie oft noch zu jung für den Straßenverkehr, sagt ein Experte der Uni Hamburg
Von Florian Maier
Mit fünf lernte ich Fahrradfahren. Auf die harte Tour, denn meine Eltern lehnten die in den 90ern ziemlich angesagten Stützräder ab. Zu gefährlich, fanden sie. Ich hätte ja an Bordsteinen wegkippen und auf die Straße fallen können. Also fiel ich auf die Nase – bis ich es raus hatte.
Meine Eltern haben richtig gehandelt, sagt Volker Nagel. Er ist Dozent am Institut für Bewegungswissenschaft der Universität Hamburg. „Gut, dass die Stützräder nicht mehr so beliebt sind“, sagt er. Diese trainierten kaum die Motorik und die Sensorik des Kindes. Andere Gefährte könnten das besser.
Die heute üblichen Laufräder, also Fahrräder ohne Pedale, die mit den Füßen angetrieben werden, seien deutlich einfacher zu handhaben für Kinder und würden dabei auch noch den Gleichgewichtssinn trainieren. Kettcars oder Dreiräder können zwar den Kindern ein Gefühl für den Umgang mit Pedalen geben, jedoch würden hier der Gleichgewichtssinn und die Motorik nicht trainiert.
Nagel ist auch überzeugt von Laufrädern, da bei diesen die Sensorik im Mittelpunkt stehe. „Diese Kippelei, also das Gleichgewicht zu halten, ist zugleich ein interessanter förderlicher Reiz für Kinder“, sagt er. Viele würden viel Spaß an dieser Gleichgewichtsübung zeigen. Kinder könnten dadurch deutlich schneller das Fahrradfahren erlernen.
Dabei verweist Nagel noch auf andere Fortbewegungsformen, die gute Auswirkungen auf die Entwicklung von Kindern hätten. Inliner und Tretroller hätten einen ähnlichen Effekt wie Laufräder und würden die Motorik von Kindern trainieren. Skateboards sieht er sogar als „Krone der Entwicklung“. Er berät als Bewegungswissenschaftler oftmals Sportler*innen in Sachen Motorik. Gerade Skiprofis trainieren oft auf Skateboards ihren Gleichgewichtssinn.
Bevor es Laufräder gab, lernten viele Kinder erst kurz vor der Schule das Fahrradfahren, heute ist das auch schon früher möglich, da der Umstieg vom Laufrad zum Fahrrad nicht so groß ist. Dies birgt allerdings auch eine nicht zu unterschätzende Gefahr. Eltern sollten gerade zu Beginn Straßenverkehr besonders meiden, sagt Nagel. Kleinen Kindern fehle der Überblick über Gefahrensituationen.
Auch die Bundesarbeitsgemeinschaft „Mehr Sicherheit für Kinder e. V.“ warnt vor den Risiken der Benutzung von Laufrädern im Straßenverkehr. Andere Verkehrsteilnehmer*innen und abschüssiges Gelände stellten große Gefahren dar.
Der Wissenschaftler Nagel fordert die Politik dazu auf, für weniger Gefahren im Straßenverkehr zu sorgen. Städte sollten sicherer werden für die sogenannte „sanfte Mobilität“. Leider schmücke sich die Politik noch zu sehr mit Schaufensterprojekten, als wirklich sicheren Straßenverkehr zu garantieren, so Nagel. Die Unfallzahlen ließen sich dadurch deutlich reduzieren, wodurch sanfte Mobilität auch ein geeignetes Fortbewegungsmittel für kurze Strecken werden könnte.
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