Benjamin Moldenhauer Popmusik und Eigensinn: Keine Suggestion von irgendwas
Sie hatte den Eindruck, er sei ein Troll, erzählt Tom Liwas Gesangslehrerin über die erste Begegnung mit ihrem Schüler. „Ein kleiner, knautschiger Troll mit langen, langen Fingernägeln zum Gitarrespielen und fürchterlich schmutzigen Füßen.“ Zu hören ist das Gespräch in Marc Ottikers Dokumentarfilm „Wir haben die Musik – Unterwegs mit Tom Liwa“. Die Kamera folgt Liwa auf die Bühne, zum Friseur, zum Künstlerworkshop und zum Meditieren. Der erste bleibende Gedanke: Vielleicht weil dieser Kerl so ein Troll mit Knautschgesicht ist, kann er mit seinen Liedern auch Menschen berühren, die auf empfindsames deutschsprachiges Singer-Songwriter-Tum ansonsten sehr cholerisch reagieren.
So was hier zum Beispiel: „Irgendwann im Frühsommer/du stehst am Fenster/in deinen Haaren das Licht/ich bin fast umgefallen/wie schön du bist“. Wenn man den Reim „Licht/bist“ glätten würde, die Zeilen wären auch in einem Lied von Tim Bendzko nicht weiter aufgefallen. In der Reduktion und Selbstverständlichkeit aber ergibt sich hier ein Unterschied ums Ganze: Keine Suggestion von irgendwas, einfach eine Erinnerung des verliebten lyrischen Ichs, das man eins zu eins für Tom Liwa hält und die man trotzdem auf das eigene Erleben übertragen kann.
Der zweite bleibende Gedanke: Es gibt eine Form von Klarheit, die zur eingeübten Authentizitätsskepsis gleichsam nebenher läuft und von ihr unbelastet bleibt. Da sitzt dann ein kleiner Mann aus Duisburg mit Mütze und Gitarre auf der Bühne und singt etwa solche Sachen: „Das ganze Leben fragst du dich/Worauf kommt’s mir an?/und suchst nach tausend Sachen, die/du eh nicht finden kannst/Das ganze Leben zappelst du/und meinst, du kämpfst dich frei/dein ganzes Leben lang/und dann ist es vorbei“.
Dieses Zitat stammt aus dem Lied „Sprachland“, zu finden auf „Mamas Pfirsiche (Für schlechte Zeiten)“, einem für den deutschsprachigen Pop der Neunziger prägenden Album von Liwas Band Flowerpornoes. Es finden sich auf „Mamas Pfirsiche“ gleich mehrere Lieder, die einen in ihrer Direktheit und ihrer radikalen Subjektivität frontal treffen.
„Nichts, worum ich bitte/und nichts, wonach ich frag/Nur ein Lied, das sagt/bedank dich jeden Tag“, heißt es im Refrain von „Parkplatz von Eden“. Fürchterlich, eigentlich. Ein Lieblingslied von mir seit über 15 Jahren. Am Ende weiß ich wirklich nicht, warum hier weise und schön klingt, was mich ansonsten die Wände hochtreibt.
Sa, 11. 5., 20 Uhr, Karton
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