: Polizeiwagen statt Behördentermin
In Göttingen ist ein Mann auf dem Weg zu einem Termin im Rathaus abgepasst, nach Frankfurt in eine Maschine nach Algerien gebracht und abgeschoben worden. Der Arbeitskreis Asyl kritisiert die Stadt für ihre verschärfte Abschiebepraxis und spricht von Verschleppung
Von Reimar Paul
Transparente und Megafondurchsagen vor dem Rathaus, ein paar Polizeiwagen um die Ecke: Erneut haben Geflüchtete und ihre Unterstützer am Donnerstag in Göttingen gegen eine verschärfte Abschiebepraxis der Stadt protestiert. Anlass war dieses Mal die Festnahme eines algerischen Flüchtlings am Vortag unmittelbar vor dem Sitz der Stadtverwaltung.
Vor einem Behördentermin sei der Mann von Polizeibeamten in Zivil abgepasst worden, hatte schon am Donnerstagvormittag der Göttinger Arbeitskreis Asyl berichtet – „offenbar wurde der Termin durch die Stadt Göttingen vorher an die Polizei weitergegeben“. Die Beamten hätten den Algerier zum Frankfurter Flughafen gebracht, von dort sei er in sein Heimatland abgeschoben worden. Die Fluggesellschaft Air Algérie sei vor dem Abflug darüber informiert worden, dass der Passagier gegen seinen Willen mitreise.
Die Stadt Göttingen bestätigte den Sachverhalt im Kern. „Die betroffene Person war nach Ablehnung ihres Asylantrags vollziehbar zur Ausreise aus der Bundesrepublik Deutschland verpflichtet“, sagte Verwaltungssprecher Dominik Kimyon der taz. Mehrfachen Aufforderungen zur freiwilligen Ausreise sei der Mann nicht nachgekommen.
Für den Vollzug der Abschiebung sei die Landesaufnahmebehörde Niedersachsen verantwortlich, die in diesem Einzelfall die Zuständigkeit aber auf die Polizeiinspektion Göttingen übertragen habe. Die Festnahme des Algeriers sei nach seiner Kenntnis nicht unmittelbar vor dem Rathaus, sondern in einer dorthin führenden Straße erfolgt, erklärte Kimyon.
Das Göttinger Bündnis gegen Abschiebungen beklagte, dass die Behörden die Abschiebung trotz der „politisch völlig undurchschaubaren und unsicheren Lage in Algerien“ überhaupt weiter betrieben hätten. In dem nordafrikanischen Land seien über Monate hinweg Tausende Menschen gegen den kürzlich zurückgetretenen Präsidenten Abd al-Aziz Bouteflika und sein Regime auf die Straße gegangen.
Freunden in Göttingen habe der jetzt Abgeschobene dem Bündnis zufolge immer wieder von seiner Angst vor den algerischen Behörden berichtet. Demonstrationen seien dort verboten, der lange Arm des Geheimdienstes sei allgegenwärtig.
Nach Angaben des Bündnisses hat es sich um mindestens den dritten Fall in der Stadt Göttingen gehandelt, bei dem Menschen auf offener Straße vor dem Rathaus abgepasst und anschließend abgeschoben worden seien. „Es ist ein unmenschlicher Skandal, dass inzwischen Leute regelmäßig am helllichten Tag verschleppt werden“, empörte sich eine Sprecherin des Arbeitskreises Asyl.
„Diese Leute waren alle auf dem Weg zu den Behörden oder auf dem Weg weg von ihnen“, so die Sprecherin weiter. Sie hätten zu den Terminen erscheinen müssen, da ihnen sonst kein Geld zum Leben geblieben wäre. Diese Gelegenheiten für ihre Abschiebung auszunutzen, sei zynisch. Die Darstellung der Stadt, wonach Geflüchtete nicht aus den Räumen der Behörden abgeschoben werden, sei „vor diesem Hintergrund nicht das Papier wert, auf dem es veröffentlicht wurde“.
Sprecherin des Göttinger Arbeitskreises Asyl
Unter anderem sei ein Mann aus Pakistan „direkt vor dem Rathaus“ festgenommen worden. Der Mann habe auch ohne Vorliegen eines Passes in Abschiebehaft genommen und abgeschoben werden sollen. Die Intervention einer Anwältin habe das verhindern können, das Vorgehen der Stadt habe sich als rechtswidrig herausgestellt, so die Sprecherin des Bündnisses.
Auch wegen kürzlich erfolgter Hausdurchsuchungen bei pakistanischen Geflüchteten hatte das Bündnis gegen Abschiebungen scharfe Kritik an der Stadtverwaltung geübt. Bei den Razzien in drei Wohnungen habe die Polizei diese „in vollkommenem Chaos“ hinterlassen: „Dabei wurde auch ein Bett zerstört und sämtliche Gegenstände in den Wohnungen verteilt.“ Bei den Durchsuchungen hätten Pässe der Geflüchteten sichergestellt werden sollen, die Dokumente seien aber nicht gefunden worden.
Göttingens Stadtsprecher Kimyon hatte zwei Durchsuchungen bestätigt. Sie seien auf Basis richterlicher Beschlüsse erfolgt. „Es lagen in beiden Fällen hinreichende Hinweise vor, dass die betroffenen Personen Passpapiere beziehungsweise Identitätsdokumente vor der Ausländerbehörde der Stadt Göttingen zurückgehalten haben“, sagte Kimyon.
Weiter bemängelte das Bündnis, dass die Stadt Göttingen Geflüchteten häufig nur mehr „Dreitagesduldungen“ ausstelle. Teilweise werden diese sogar durch Papiere ersetzt, die besagten, dass eine Abschiebung auch ohne das Vorliegen eines gültigen Passes eingeleitet sei.
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