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Das Lied der Straße

Ein Übungsraum, Startplatz zum Ruhm, Problemzone – die Straßen Berlins sind bei Musikern aus aller Welt begehrt. Man muss sich nur umhören, jetzt im Frühling. Die Straßen­musiksaison beginnt

Um mit der Botschaft durchzudringen, braucht auch die Straßenmusik manchmal Verstärkung Foto: André Wunstorf

Von Andreas Hartmann

It’s all too beautiful, it’s all too beautiful“, und noch zweimal: „It’s all too beautiful, it’s all too beautiful.“ Alles zu schön. Der Re­frain des Sixties-Gassenhauers „Itchycoo Park“ von den Small Faces weht den Passanten auf der Warschauer Straße in Friedrichshain an einem warmen Freitagabend im April entgegen.

Der Urheber der Musik nennt sich Ernst. Er trägt Jogginghose und hat sich das Gesicht tätowieren lassen. Er wirkt geschmeichelt, dass man sich für ihn interessiert, bleibt aber misstrauisch. Eigentlich dürfe er hier, wo er sich als Straßenmusiker eingefunden hat – von Friedrichshain aus gesehen noch ein paar Meter vor der Warschauer Brücke –, gar nicht spielen. Zu nah dran an Häusern auf der gegenüberliegenden Straßenseite. Er tut es trotzdem, immer wieder mal, unregelmäßig. Stets an dieser Stelle. Probleme habe er noch nie bekommen, und damit das möglichst so bleibt, möchte er lieber nicht so prominent mit Foto und Nachnamen in der Zeitung auftauchen.

Ernst benutzt eine elektrische Gitarre, diverse Effektgeräte hat er vor sich ausgebreitet. Er musiziert im Sitzen. Er sei über 60 Jahre alt, habe Arthrose, lange werde er es als Straßenmusiker wohl sowieso nicht mehr machen können. Vor sich hat er einen Notenständer aufgestellt, er spielt tatsächlich nach Noten. „Proben vor Publikum“ nennt er das. Er sitze hier, weil ihm das Freude bereite und nicht des Geldes wegen. Sein Gitarrenkoffer steht trotzdem geöffnet vor ihm, ein paar Münzen liegen bereits darin.

Es ist Frühling und die Saison der Straßenmusik beginnt wieder. Berlin ist eine der beliebtesten Städte Europas für diese Form der öffentlichen Musikdarbietung. Auch im Winter sieht man vereinzelt Straßenmusiker im Freien, doch ihr Treiben verlagert sich in den kalten Monaten des Jahres eher in die U-Bahnhöfe. Jetzt, bei angenehmeren Temperaturen, drängt es sie wieder auf die offenen Plätze.

„So viele Orte zum Spielen, jeder findet seine Nische“

Mark Nowakowski, Musikethnologe

Die beliebtesten Orte sind der Mauerpark, der Alexanderplatz und eben die Ecke rund um die Warschauer Brücke. Der Berliner Musikethnologe Mark Nowakowski, der vor ein paar Jahren eine Studie über Straßenmusik in Berlin verfasst hat, sagt: „Die Stadt ist so toll für Straßenmusiker, weil es so viele Orte gibt, wo man spielen kann.“ Und man könne sich sein Publikum sogar förmlich selbst auswählen. Der eine ist Singer-Songwriter oder klassischer Musiker und stelle sich deswegen lieber auf den Alexanderplatz oder einen Platz an der Museumsinsel, um eine eventuell etwas gediegenere Hörerschaft zu beglücken. Der andere mache was Verrücktes und suche sich eher das Partypublikum an der Warschauer Brücke. „Jeder findet hier seine Nische“, sagt Nowakowski. Ganz Berlin eine einzige große Bühne.

Ein Paradies für Straßenmusiker.

Zur Wahrheit gehört aber auch, dass dieses Paradies manchmal durchaus wie ein undurchdringbarer Dschungel erscheint.

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