Vom Patchwork bis zum Regenbogen

Das Bremer „Symposium zum Film“ beschäftigt sich in diesem Jahr mit Familienbildern in Spiel- und Dokumentarfilmen

Von Wilfried Hippen

Einer der ersten Filme überhaupt, die öffentlich vorgeführt wurden, ist „Repas de bébé“ („Babys Frühstück“) der Gebrüder Lumière aus dem Jahr 1895. Jedenfalls hatte die kleine Tochter von Andrée Lumière, die darin 45 Sekunden lang liebevoll von ihren Eltern gefüttert wurde, eindeutig die erste Hauptrolle der Filmgeschichte.

Für Christine Rüffert, eine der Organisator*innen des 24. „Internationalen Bremer Symposiums zum Film“, das sich vom 8. bis zum 12. Mai im Kino City 46 mit „Familien-Bildern“ beschäftigen wird, macht schon allein dies deutlich, wie wichtig die Darstellung des Themas Familie im Kino war – und ist.

Doch bei ihren Recherchen fand sie heraus, dass dazu filmwissenschaftlich „noch gar nicht viel geforscht wurde. Vielleicht ist es so alltäglich, dass man gar nicht darüber nachdenkt“, sagt Rüffert.

Dabei sei das Thema auch interessant, weil sich die Darstellung von Familie sowohl im Dokumentar- als auch im Spielfilm verändert habe, „weil da viele neue Formen von Familien auftauchen“, sagt Rüffert. So sind Filme über alleinerziehende Eltern längst keine Ausnahmen mehr – und dies können inzwischen sowohl Mütter als auch Väter sein. Es gebe „Filme über Töchter und Mütter, Patchwork- und Regenbogenfamilien“, sagt Rüffert. Oft hätten solche Filme auch einen utopischen Anteil, denn „im Film werden oft Sachen verhandelt, die erst im Umbruch sind“.

Ein Thema des Symposiums sind Familien, die aus politischen oder ökonomischen Gründen durch Landesgrenzen getrennt leben. Zum Auftakt des Symposiums am Mittwoch gibt Daniela Berghahn von der University of London mit ihrem Vortrag „Weit verstreut doch eng verbunden: Diasporafamilien im zeitgenössischen Europäischen Kino“ einen Überblick. Im Anschluss wird mit „Almanya – Willkommen in Deutschland“ von Yasemine Samdereli dann auch einer jener Filme gezeigt, auf den Berghahn sich in ihrem Vortrag bezieht.

Dass Filme, über die in Vorträgen gesprochen wird, auf filmwissenschaftlichen Veranstaltungen in Gänze gezeigt werden, ist eine Ausnahme; ein „Alleinstellungsmerkmal“, sagt Rüffert.

Diskutiert wird das Thema „Familien-Bilder“ in verschiedenen Foren. Eines von ihnen beschäftigt sich mit „Produktionsfamilien“, also familiären Konstellationen, die bei der Herstellung von Filmen entstehen. Viele Regisseur*innen arbeiten am liebsten mit solchen „Filmfamilien“, zu denen befreundete Darsteller*innen und Teammitglieder gehören. „Das war bei Keaton, Cassavetes, Fassbinder und ist heute etwa bei Wes Anderson so“, sagt Rüffert.

Ein weiteres Forum ist dem Thema „Home Movies als Archiv“ gewidmet. Dabei ist dem Symposium in diesem Jahr ein Coup gelungen. Denn diesmal wird ein Projekt vorgestellt, dass bisher ausschließlich im Holocaust Memorial Museum in Washington D.C. zu sehen war.

Das Archivprojekt „Ivan und seine Brüder“ hat überdies einen starken regionalen Bezug: Der Protagonist Ivan Illich war ein jüdischer Philosoph und Autor, der mit seiner Familie von den Nazis ins Exil gezwungen wurde, anschließend jahrzehntelang herumreiste und schließlich 1991 zu einer Gastprofessur an die Universität Bremen eingeladen wurde. In Bremen blieb er dann auch bis zu seinem Tod im Jahr 2002.

Aufgewachsen war Ivan Illich gemeinsam mit zwei jüngeren Zwillingsbrüdern in einer großbürgerlichen Familie in Wien. Zum Luxus, den die Familie sich leistete, gehörte eine damals sehr teure 16mm-Kamera, mit der die Mutter zwischen 1936 und 1942 Filme von der Familie drehte. Illich selbst war auf diesen Aufnahmen zwischen 10 und 16 Jahre alt. Aber die Bilder bieten nicht nur Einblicke in das Leben einer wohlhabenden und gebildeten Familie, sondern zeigen auch, wie Österreich sich nach dem „Anschluss“ ans nationalsozialistische Deutschland veränderte und unter welchen Umständen die Familie dort bis zu ihrer Flucht 1942 gelebt hat.

Eine Nichte Ivan Illichs übergab diese Filme dem Holocaust Memorial Museum in den USA. Das Archivprojekt stellen nun die Wiener Filmhistoriker Michael Loebenstein und Ingo Zechner auf dem Symposium vor. Illich sei nur ein Aufhänger, sagt Rüffert. „Aber das Projekt ist für Bremen interessant, weil ihn viele Menschen hier sehr geschätzt haben, und diese nun anhand des Filmmaterials sehen können, wie er seine Jugend verbracht hat.“

Mi, 8. – So, 12. 5., City 46, Bremen