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In der Dorfhölle Brandenburgs

In der Komödie am Kurfürstendamm im Schillertheater hatte „Unterleuten“ nach Juli Zehs gleichnamigem Roman Premiere

Viel Lärm in „Unterleuten“. Mit Josip Culjak (hinten), Juliane Götz , Julian Mehne Foto: Franziska Strauss

Von Katharina Granzin

Kahle hohe Baumstämme, die manchmal schön ins Wackeln geraten, bilden das ganze Bühnenbild. Ab und an schieben oder tragen Personen Versatzstücke ihres Lebens herein und wieder hinaus: einen Schaukasten mit ausgestopften Vögeln; einen Sattel; einen Kinderwagen. Das war’s auch schon. Zum Theaterspielen braucht man nicht viel.

Eine ganze Menge Menschen braucht man allerdings schon, wenn man ausgerechnet einen so figurenreichen Roman wie Juli Zehs „Unterleuten“ auf die Bühne bringen will. Regisseur Tobias Wellemeyer hat die Dramenfassung von Ute Scharfenberg bereits im Potsdamer Hans-Otto-Theater zur Aufführung gebracht; für die Berliner Produktion wurde die Hälfte der Rollen umbesetzt.

Zehs „Unterleuten“ ist ein dickleibiges Opus von 650 Seiten, das vor allem von seiner gelungenen Figuren-Charakterisierung lebt. Innerhalb nur eines Theaterabends – auch wenn er fast drei Stunden dauert – lässt sich schwerlich dieselbe Tiefenschärfe erreichen; das Einzige, was da hilft, ist, die Typisierung zuzuspitzen. Von dieser Absicht ist die Inszenierung in der „Komödie am Kurfürstendamm im Schillertheater“ – dort residiert die Komödie seit Herbst 2018, da ja ihr Stammhaus am Kudamm abgerissen wurde – deutlich getragen.

„Unterleuten“ verhandelt eine Provinzintrige, ein zerstörerisches Machtspiel um Land, Geld und Einfluss. In einem fiktiven brandenburgischen Dorf – im Bühnenhintergrund verdeutlicht ein Autobahnschild die geografische Situation – plant ein Investor den Bau einer Windkraftanlage. Dieses Vorhaben stößt einerseits auf grimmigen Widerstand, andererseits auf Begehrlichkeiten. Der Großgrundbesitzer Gombrowski hofft ebenso wie ein zugereister Spekulant, sein Land zum Höchstpreis verhökern zu können.

Beide müssten dafür aber einen Deal mit der ehrgeizigen Linda machen, die erst seit Kurzem im Dorf wohnt, ihr Gestüt erweitern will und keine Skrupel kennt, wenn es um die Durchsetzung ihrer Ziele geht.

Auf der anderen Seite wütet der Altkommunist Kron sowohl gegen Windkraft als auch gegen Gombrowski; auch der akademisch gebildete Vogelschützer Fließ tut mit seinem cholerischen Gehabe seiner Sache keinen Gefallen. Eher nur Zuschauer des Konflikts sind der Ortsbürgermeister sowie Krons Tochter Kathrin. Als Kathrins Kind plötzlich verschwindet, scheint es für eine Weile so, als würde sich bei der Suche nach dem Mädchen doch eine Art Dorfgemeinschaft zusammenraufen. Aber nachdem die Vermisste ausgerechnet bei Gombrowskis Freundin Hilde wiederaufgetaucht ist, schlägt die Stimmung um; die Alteingesessenen verdächtigen nun den Großgrundbesitzer der Kindesentführung, während Linda in aller Heimlichkeit mit dem Schwabenspekulanten paktiert.

Ununterbrochen wird geredet, denn es muss ja eine Menge erklärt werden

Das wäre nur die Kurzfassung der Handlung, bei der einige Personen weggelassen wurden und auch ein geheimnisvoller Todesfall von vor zwanzig Jahren. Ute Scharfenberg hat es tatsächlich geschafft, in ihrer Bearbeitung auch all das noch unterzubringen. Eine beachtliche Leistung; aber es ist für einen Abend im Theater trotzdem zu viel. Ununterbrochen wird geredet, denn es muss ja eine Menge erklärt werden. Dass die DarstellerInnen dabei mehr schreien als sprechen, kann nur daran liegen, dass es eine entsprechende Regieanweisung gegeben hat.

Es wirkt jedenfalls recht merkwürdig, denn immerhin verfügt das Schillertheater über eine einwandfreie Theaterakustik. Möglich, dass mit der stimmlichen Übertreibung eine Art Bauerntheater-Ton markiert werden soll; doch weil er dazu wiederum zu uneinheitlich ausgeführt wird, stellt sich manchmal eher ein Schultheatergefühl ein.

Zwar ist es eine bestechend einfache Idee, die Figuren mit sprechenden Kostümen auszustatten, anhand deren sie wiederzuerkennen sind. Jule, die Frau des Vogelschützers, wird mit einem rückenfreien Abendkleid und High Heels als „Luxusweibchen“ markiert, Gombrowski trägt mit Hut und Weste klassische Insignien eines Patriarchen und so weiter. Doch sonstige Unterschiede zwischen den Figuren, die gerade die Qualität des Romans ausmachten, sind durch das viele Brüllsprechen ziemlich eingeebnet, und körperliche Aktion wird den meisten Personen auf der Bühne ohnehin nicht abverlangt. Die Tanzeinlagen der überaktiven Linda – überhaupt gibt es reichlich Gelegenheit, den ballettgestählten Körper von Linda-Darstellerin Katrin Hauptmann zu bewundern – sind da willkommene Erholungspausen vom Redeschwall.

In der Komödie am Kurfürstendamm im Schiller Theater, täglich bis 19. Mai

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