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Archiv-Artikel

„Es gibt eine versteckte Autoritätsgläubigkeit“

Der Indianer, der Türke, der Ostler – wer wie Karl May oder Edmund Stoiber in der Einzahl spricht, will nicht differenzieren. Egal. Der ostdeutsche Schriftsteller Jens Sparschuh lässt sich von dieser Kompetenz nicht erschüttern

taz: Haben die Bemerkungen von Edmund Stoiber die Ostdeutschen verletzt?

Jens Sparschuh: Mich haben sie nicht verletzt. Überhaupt nicht. Damit kann er sich vielleicht gemeinsam mit Herrn Schönbohm als Beauftragter Ost in einem Kompetenzteam qualifizieren. Doch man muss es selbst erlebt haben, um es nicht zu verstehen. Als Nichtschwimmer kann man zwar das Leben der Schwimmer prima beurteilen. Die Aussagen haben jedoch mit der Wirklichkeit verdammt wenig zu tun. Ich lese gerade Karl May. Beim ersten Band von Winnetou steht in der Einleitung: „Immer fällt mir, wenn ich an den Indianer denke, der Türke ein.“ Wenn man nicht differenzieren will, dann spricht man von anderen in der Einzahl: der Indianer, der Ostler. Das ist sehr verräterisch. Und wenn ich mir zum Beispiel überlege, was für einen Aufstand es gab, als die Postleitzahlen von vier auf fünf Stellen umgestellt wurden: Eine Tante von mir aus dem Westen war in ihrer Lebensgrundlage gefährdet, die fühlte sich plötzlich heimatlos und entwurzelt. Das war eine Veränderung, die die Bundesrepublik erschüttert hat. Die Menschen in Ostdeutschland haben in den vergangenen 15 Jahren ungleich mehr an Veränderung mitgemacht.

Das heißt also, bei dem, was die Ostdeutschen schon hinter sich haben, macht auch ein Stoiber nicht mehr viel?

Nö. Es kann jedoch auch nicht das Paradigma sein, dass ganz Deutschland so wird wie Bayern. Das ignoriert, dass nach 1989 nicht nur etwas dazugekommen ist, sondern dass sich die Geschäftsgrundlage geändert hat. In zwei unterschiedlichen Ländern ist 40 Jahre lang Unterschiedliches gewachsen und das muss man immer und immer wieder zusammenbringen. Wenn beim Zusammenwachsen aber das jeweils Andere verleugnet wird, ist es nur ein Unter-den-Teppich-kehren.

Eine zweite Figur in dem Szenario ist ja Angela Merkel …

Ich fand es putzig, wie sie neulich im Fernsehen vor dem Adenauer-Bild stand. Als alter Feminist würde ich es sehr begrüßen, wenn eine Frau ins Kanzleramt käme, das würde zu einer ganz neuen Sicht auf die Dinge führen. Nur gibt es Frauen, die sich wie Männer gerieren. Und dann nutzt es ja nichts.

Ist sie denn, wenn sie schon keine Frau mehr ist, wenigstens noch ein Ossi?

Eher nicht. Da fühle ich mich als Ostler von Werner Schulz oder Katrin Göring-Eckardt von den Grünen mehr verstanden.

Trotz der Aussagen über „Frustrierte“ hat die Union laut einer Forsa-Umfrage im Osten zugelegt und die Linkspartei Punkte verloren. Sind Ostdeutsche vielleicht masochistisch?

Eine Deutung könnte sein, dass doch noch eine ganz versteckte Autoritätsgläubigkeit existiert. Ein Phantomschmerz, der denjenigen vermisst, der einst sagte, wo es langging. Und wenn dann solche pauschalen Urteile abgegeben werden, ist man vielleicht bereit, eher solchen vereinfachten Sätzen zu glauben als der schwierigen Übung Demokratie. Sartre hat es mal als die unendlichen Schwierigkeiten der Freiheit formuliert. Freiheit ist die Einsicht in sehr komplizierte Zusammenhänge und ein auf dieser Einsicht basierendes selbstbewusstes Handeln. So eine vereinfachende Bemerkung fällt vielleicht auf fruchtbaren Boden, wenn man sich den komplizierten und mühsamen Weg der Selbstbestimmung ersparen will.

Steht dahinter vielleicht auch der Wunsch nach einem neuen Heilsbringer?

Das wäre menschlich durchaus verständlich, wird aber – wie die Geschichte von mehreren tausend Jahren lehrt – nicht viel bringen.

Was erhofft sich der gemeine Ostdeutsche überhaupt von der Wahl?

Ja, das frage ich mich auch. Der gemeine Ostdeutsche ist, wie wir alle wahrscheinlich, überrumpelt worden von Schröders Entscheidung. Ich glaube gelesen zu haben, dass 70 Prozent finden, die beiden großen Parteien sollten – statt sich gegenseitig zu blockieren – die Sache mal für eine überschaubare Frist in einer großen Koalition versuchen. Das ist sicher keine optimale Lösung. Mich bekümmert aber vor allem, dass die Grünen in den meisten Rechnungen keine Rolle spielen.

Die Linkspartei spielt in diesem Modell aber auch keine Rolle. Und sie reklamiert doch immerhin für sich, die Stimme des Ostens zu sein?

Ich bin mir nicht so sicher, ob die Linkspartei die Stimme des Ostens ist. Ich war im Gegenteil immer eher sauer, wenn sie dies für sich in Anspruch nahm. Denn da gab und gibt es noch viele andere Stimmen. Jeder der 16 Millionen Hiergebliebenen hat doch letztlich eine. Und ich bin sehr gespannt, was die Stimmen am 18. September sagen. Überhaupt halte ich es für sehr schwierig, wenn jemand Stimme eines anderen sein will. Das klingt für mich immer so, als wolle er der Vormund sein und die anderen sind die Mündel.

INTERVIEW: KAI BIERMANN