piwik no script img

Späte Anerkennung

Eine Ausstellung in der Gedenkstätte Sandbostel gibt Opfern der NS-Militärjustiz ein Gesicht

Von Robert Matthies

Zehntausende Verfahren führte die Wehrmachtsgerichtsbarkeit während des Zweiten Weltkriegs allein in Hamburg durch. Elf Gerichte und weitere Dienststellen zeichneten für Hunderte von Todesurteilen verantwortlich, meist wegen Desertion und „Zersetzung der Wehrkraft“. Mindestens 206 von ihnen wurden im Untersuchungsgefängnis am Holsten­glacis und am Standortschießplatz Höltigbaum im Stadtteil Rahlstedt vollstreckt. Tausende Menschen verurteilte man überdies zu teils langjährigen Gefängnis- und Zuchthausstrafen, darunter auch ausländische Kriegsgefangene.

Die Ausstellung „Deserteure und andere Verfolgte der NS-Militärjustiz“ der KZ Gedenkstätte Neuengamme dokumentiert noch bis Ende des Monats in der Gedenkstätte Lager Sandbostel zwischen Hamburg und Bremen die Standorte der Gerichte und Haftstätten sowie ihre Zusammenarbeit mit Polizei, Justiz, Krankenhäusern und Ämtern.

Sie gibt den Opfern anhand von Fallbeispielen und Biografien ein Gesicht, rekonstruiert Verfolgungsgeschichten, aber auch Motive für Ungehorsam: Der Obergefreite Franz Krohn etwa wurde nach achtmonatiger Irrfahrt durch das besetzte Europa in Hamburg verhaftet und am 14. Mai 1943 wegen Fahnenflucht zum Tode verurteilt.

Nicht zuletzt wirft die Ausstellung einen Blick auf die Nachgeschichte: Auch nach Kriegsende galten die Überlebenden als „Verräter“ und stießen auf Ablehnung, während viele der Richter ihre Karrieren ungebrochen fortsetzen konnten. Erst zwischen 2002 und 2009 wurden Deserteure und „Kriegsverräter“ als Opfer der NS-Unrechtsjustiz anerkannt. Und erst seit vier Jahren erinnert in Hamburg ein Denkmal an sie: gleich neben einem NS-Kriegerdenkmal und einem unfertig gebliebenen Gegendenkmal von Alfred Hrdlicka.

bis 30. 4., Gedenkstätte Lager Sandbostel, www.stiftung-lager-sandbostel.de

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen