Narben des Krieges

PREMIERE Das Oldenburger Staatstheater eröffnet die neue Spielzeit mit einer unausgegorenen deutschsprachigen Erstaufführung von „Willkommen in Theben“

Die Figuren sind antik und zeitgenössisch, was mit dem Grundwiderspruch des Stücks korrespondiert

VON ANDREAS SCHNELL

„Willkommen in Theben“ von der englischen Dramatikerin Moira Buffini, vor zwei Jahren in London uraufgeführt, ist gewissermaßen ein Update von Sophokles’ „Antigone“, ergänzt um Motive aus „Lysistrata“ (Aristophanes) und „Hippolytus“ (Euripides). Theben hat einen verheerenden Bürgerkrieg überstanden und wird nun von Eurydike regiert, die um sich ein vorwiegend weibliches Kabinett gebildet hat. Sie warten auf Theseus, erster Bürger Athens, von dem man sich Hilfe beim Wiederaufbau erhofft. Tydeus, einst Prinz und Warlord, hat die Wahl gegen Eurydike verloren, will aber nicht aufgeben. Er wiegelt mit Hilfe seiner Geliebten Pargäa, Witwe des Polyneikes, die Menge auf und dient sich Theseus an, der der Welt im Allgemeinen und Theben im speziellen Demokratie bringen will. Die Leiche des Polyneikes, Führer einer der Bürgerkriegsparteien, wird zum politischen Zankapfel. Eurydike befiehlt, ihn nicht begraben zu lassen, was ihre Nichte Antigone nicht zulassen will.

Als die ihren Bruder dennoch beerdigt, wird sie festgenommen, es kommt zum Eklat, ein Soldat wird vom Leibwächter des Theseus erschossen, der daraufhin beschließt, Theben zu verlassen. Eurydike gelingt es, ihn zum Bleiben zu bewegen, indem sie ankündigt, dann eben mit Sparta zu verhandeln. Tydeus wird als Kriegsverbrecher entlarvt, aber Frieden und Versöhnung scheinen noch weit entfernt zu sein. Die einfache Soldatin Megära, Kameradin des im Handgemenge Erschossenen, beschließt, mit ihrem Freund Sergeant Miletus nach Athen zu gehen. Ihre letzten Worte lassen das Stück auf einer beunruhigenden Note enden: „Wir fackeln alles ab – die ganze Stadt.“

Dass das Vorbild dieser Eurydike ein reales ist, daraus macht Buffini kein Geheimnis. Erklärtermaßen stand hier Ellen Johnson-Sirleaf Pate, die 2005 in Liberia zum Staatsoberhaupt gewählt wurde, nach einem 14 Jahre dauernden Bürgerkrieg. Theseus ist unschwer als Präsident der USA zu entziffern, Tydeus steht für den derweil als Kriegsverbrecher verurteilten liberianischen Ex-Präsidenten Charles Taylor.

Die Figuren sind aber beides, antik und zeitgenössisch, was mit dem Grundwiderspruch des Stücks korrespondiert. In der griechischen Tragödie spielen schließlich die Götter Schicksal. Eurydike will aber genau damit brechen. Nicht einfach, denn die Prophezeiungen des Sehers Theiresias treffen’s stets zuverlässig.

Und so drohen ihre Bemühungen, eine andere Politik zu machen, an den Narben zu scheitern, die der Bürgerkrieg auch in ihr hinterließ. Man kann Theseus verstehen, wenn er Eurydike fragt, wie sie denn Frieden schaffen will. Aber – Hoffungsschimmer – er lässt sich doch noch auf Verhandlungen ein.

Man könnte es glatt als impliziten Witz lesen: dass Buffini mit ihrer Intervention im klassischen Stoff so viel Mühe hat wie Eurydike im Kampf gegen die alte Welt. Einiges wirkt aufgepropft, es gibt zu viele Nebengeschichten, zu viele Figuren, die blass bleiben.

Und auch Regisseurin Christina Rast hatte wohl ihre Mühe mit dem Stoff. Weder spielt sie das komische Potenzial pointiert aus, noch findet der Abend einen Duktus für die ernste Seite der Dinge. Stattdessen gibt es noch ein paar Anspielungen obendrauf: Da hängt an einer Stelle eine riesige 2-Euro-Münze als Mond vom Himmel – Griechenland, Sie verstehen. Und Anna Steffens als Eurydike hat eine gewisse Ähnlichkeit mit Julia Timoschenko – oder ist das mit der Frisur Zufall?

Bühnenbild und Ausstattung verzetteln sich, finden keine klare Linie. Auch das Ensemble scheint da hilflos. Selbst verlässliche Kräfte wie Vincent Doddema findet nicht in eine Linie, Gilbert Mieroph als Theseus hat seine Momente, ist als eitler Präsident mit zu viel Testosteron unterhaltsam, wirkt aber nicht immer glaubwürdig als Polit-Profi. Anna Steffens als Präsidentin lässt nur erahnen, wie sie die Wähler für sich begeistern konnte. Nicht, dass das Stück uns nichts zu sagen hätte.

Da tun sich selbst Patrick Schimanski und Raphael Clamer schwer, die neben zwei kleinen Rollen vor allem mit der Musik beschäftigt sind. Sie halten sich zurück, anstatt einmal beherzt hineinzugrätschen in diesen zähen, langen Abend.

■ nächste Vorstellung: Sonntag, 19.30 Uhr, Staatstheater Oldenburg, Großes Haus