: Wenn Filigranes bedrängt
Mal mehr, mal weniger Konzept: Aktuelle Arbeiten von Lisa Seebach, Andrew Norman Wilson und Steven Bishop im Braunschweiger Kunstverein
Von Bettina Maria Brosowsky
Es geht ausdrücklich um wesentliche Impulse für die weitere künstlerische Entwicklung: Seit 20 Jahren vergibt das niedersächsische Ministerium für Wissenschaft und Kultur zusammen mit der Sparkassenstiftung im Land ein New-York-Stipendium an Nachwuchskünstler*innen: Es umfasst ein Jahr lang ein Atelier und eine Wohnung und noch dazu einen Zuschuss zu den New Yorker Lebenshaltungskosten. Im Anschluss präsentieren dann meist zwei niedersächsische Kunstvereine die neuen oder auch ältere Arbeiten der Stipendiat*innen, es gibt einen Katalog und Begleitprogramm.
2017 hatte Lisa Seebach Glück: Ihre Installationen überzeugten die Auswahlkommission; diese lobte, Seebach setze vielfältige Elemente, Strukturen und Skulpturen aus unterschiedlichen Materialien, besonders Stahl und Keramik, gekonnt in Szene. Die Künstlerin, geboren 1981 in Köln, hat ab 2007 in Braunschweig studiert und 2014 als Meisterschülerin von Thomas Rentmeister abgeschlossen. Man mag da einen Einfluss erkennen wollen: Ähnlich wie Rentmeister arbeitet Seebach mit linearen, fragilen Systemen, die sie mit massiven Körpern konterkariert. Es geht geradezu um Urthemen der Plastik, um Schweben und Lasten, um stabile Konstruktion und die zumindest optischen Grenzen gefühlter Statik.
Seebachs Abschlussausstellung ist nun im Kunstverein Braunschweig zu sehen, anschließend geht sie in den Verein im emsländischen Lingen. Ihre teils ausgreifenden Installationen scheinen mitunter selbst die Raumgrenzen sprengen zu wollen: Eng wird es beim Durchschreiten der Zimmerfluchten an manchen Stellen. Auch wenn es nur dünne, rahmenartige Gebilde aus schwarzem Stahl sind, die sich da in den Weg zu stellen scheinen: Die Besucher*in fühlt doch Bedrängnis. Nicht zum ersten Mal kombiniert Seebach diese abstrakten Konstrukte mit Keramiken von figurativer Natur: Zwei schwarz glasierte Objekte etwa erinnern an altertümliche elektroakustische Anlagen, wie sie auf Versammlungen benutzt wurden.
Im Nebenraum hängt eine nun dunkelblau glasierte Wandarbeit, die wiederum an eine alte Uhr aus Wohnzimmer oder Küche erinnert: Ohne Zifferblatt und mit starren, metallisch schimmernden Pendeln hebt sie aber gerade die alles bestimmende Zeit auf, und bei aller Präzision und Erkennbarkeit ihrer Gestalt ist sie – nutzlos. Man mag existenzielle Aussagen in dem Objekt vermuten, aber vielleicht auch bloß einen ästhetischen Formfindungsprozess.
Kulminationspunkt der Seebach’schen Installationskunst ist der große Spiegelsaal: Hier versammelt sie auf einem Podest aus weißer Industriekeramik drei Figurationen – sitzend, lagernd, liegend –, die in all ihrer Abstraktion doch an Menschen erinnern. Oder sind diese wiederum in schwarz glasierter Keramik nachgeformten Kopfstützen funktionale Gegenstücke des Hinterkopfes? Hier sind die Abwesenden durch einen repräsentativen Verweis dann prompt wieder anwesend.
Flauschige Umwege
Aus der akademischen Kunstwelt Seebachs reißen in Obergeschoss und Keller des Kunstvereins die äußerst fantasievollen Videoarbeiten Andrew Norman Wilsons: Der US-Amerikaner verwendet Zitate und Figuren aus alten Fernsehserien, die Kamera schwankt bedenklich, etwa durch eine aufgelassene Kinderklinik mit bunten Relikten. Für die Projektionsräume erfand Wilson einen flauschigen Parcours, hüllte alles in Teppich und Textil, kreierte Tunnel und Umlenkungen. Hier müssen Besucher*innen die Schuhe ausziehen – und das dann gleich nochmal: in der Remise, wo Steve Bishop ausstellt.
Die Installation des Kanadiers ist dann wieder hoch konzeptionell: Eine absurd lange, aseptisch weiße Küchenzeile etwa spielt mit unseren Vorstellungen zu ihrer rechten, sinnvoll nutzbaren Art und Dimension. Kunststoffe für scheinbar hochwertige Oberflächen, nachgebildete Kuchenreste oder ein gebräuchliches Möbelset im Garten entführen in die omnipräsente Welt der Surrogate.
Bis 5. 5., Kunstverein Braunschweig. Katalogvorstellung Lisa Seebach „When the stage turns dark tomorrow“: Mi, 24. April, 19 Uhr
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