: Wenn der Abbruch droht
Im Handwerk schmeißt jedeR dritte Auszubildende hin. Weil zugleich händeringend Nachwuchs benütigt wird, soll ein Projekt mit ehrenamtlichen BeraterInnen helfen
Von Joachim Göres
In vielen Handwerksbetrieben fehlt der Nachwuchs. Nicht zuletzt, weil die Abbruchquote der Auszubildenden im Handwerk höher ist als in jeder anderen Branche. Nach Zahlen des Statistischen Bundesamtes wurden 2017 in Schleswig-Holstein 33,7 Prozent der Ausbildungsverträge im Handwerk vorzeitig gelöst. In Niedersachsen (33,9 %), Bremen (37,1%), Mecklenburg-Vorpommern (38,3%) und vor allem Hamburg (41,3%) war der Anteil noch höher. Die Quote der abbrechenden Frauen liegt über der der Männer, die der AusländerInnen ist höher als die der Deutschen.
Ob der Arbeitgeber oder der Auszubildende den Ausbildungsvertrag aufgekündigt hat und welche Gründe dafür ausschlaggebend waren, darüber gibt die Statistik keine Auskunft. Laut dem Zentralverband des Deutschen Handwerks ist bundesweit die Abbruchquote im Bereich Gesundheit, Körperpflege und Reinigungshandwerk mit 43 Prozent am höchsten, gefolgt vom Lebensmittelgewerbe (40%), dem KfZ-Bereich (39%) und dem Bau- und Ausbaugewerbe (35%). Besonders angehende Friseurinnen und Friseure geben häufig auf.
Der DGB hat dafür in seinem aktuellem Ausbildungsreport vor allem die schlechte Bezahlung und starken Leistungs- und Zeitdruck verantwortlich gemacht. „Auch lange Fahrzeiten, schlechte Pausensituationen, die Lage der Arbeitszeiten und ständige Erreichbarkeit werden von vielen Auszubildenden als Belastung wahrgenommen“, berichtete Andreas Schönhalz, Geschäftsführer der Krankenkasse IKK Classic für Niedersachsen und Hamburg, auf einer Tagung zum Thema „Gesundheitsförderung im Handwerk“ in Hannover. Der Krankenstand ist bei den in der IKK versicherten Handwerker-Azubis höher als in fast allen anderen Ausbildungsberufen, ebenso der Anteil der Verletzungen als Grund für die Krankschreibung.
Nach einer Studie der Technischen Hochschule Gießen, für die 20 000 Auszubildende befragt wurden, trägt dazu auch ein weit verbreitetes Schlafdefizit bei, was zu häufiger Erschöpfung, fehlender Konzentration und dem Gefühl mangelnder Leistungsfähigkeit beitrage. Ein langer Arbeitstag, Konflikte bei der Arbeit und im Privatleben sowie häufig erstmals die eigenverantwortliche Haushaltsführung in einer neuen Umgebung, verbunden mit einem körperlich anstrengenden Beruf – diese Vielzahl von Veränderungen überfordern offenbar viele junge Leute und erhöhten das Risiko, alles hinzuschmeißen.
Um die Abbruchquote zu senken, sind ehrenamtlich arbeitende BeraterInnen von „Vera“ aktiv – dahinter verbirgt sich das vom Bundesbildungsministerium geförderte Projekt „Verhinderung von Ausbildungsabbrüchen“. Dabei betreut eine berufserfahrene Person einen Auszubildenden und steht ihm als Vertrauensperson zur Seite. „Meist wenden sich Lehrer oder Ausbilder an uns, weil sie den Abbruch befürchten. Der Auszubildende entscheidet darüber, wie oft wir uns sehen und womit wir uns beschäftigen“, sagt Manfred Hoppstock, Vera-Regionalkoordinator aus Hannover.
Bei den Treffen geht es um Hilfe bei den Lerninhalten, die Verbesserung der Sprachkenntnisse, die Erhöhung der Motivation, das Besprechen persönlicher Probleme, den Umgang mit Konflikten im Betrieb und die Bewältigung des Alltags. „Man muss keine Ahnung vom Ausbildungsberuf haben und auch nicht Handwerker sein, aber seinen Gegenüber ernst nehmen und Zeit mitbringen“, sagt der Bankkaufmann im Ruhestand. Nach seiner Erfahrung klagen junge Leute vor allem über ein schlechtes Verhältnis zum Meister und KollegInnen, über zu lange Fahrtstrecken und ständige Überstunden. ArbeitgeberInnen bemängeln dagegen fehlende Anpassungsfähigkeit, mangelnde Eignung für den Beruf und unzureichende Deutschkenntnisse.
In der Region Lüneburg ist Ulla Zajons Ansprechpartnerin für Hilfesuchende und Ehrenamtliche. „Jugendliche haben sich die Ausbildung oft anderes vorgestellt, klagen über zu viel Arbeit, die Nichteinhaltung des Ausbildungsplans. Ihre Kritik ist oft berechtigt, doch dahinter steckt kein böser Wille des Betriebs, sondern ganz häufig ein Kommunikationsproblem“, sagt Zajons und fügt hinzu: „Ein ehrenamtlicher Betreuer kann in solchen Fällen vermitteln, aber nur, wenn der Auszubildende das auch will.“
Zajons ist auf der Suche nach weiteren berufserfahrenen Menschen ab 50 Jahren aufwärts zur Unterstützung von Auszubildenden. „Man sollte Verständnis für junge Leute haben, Einfühlungsvermögen mitbringen und für andere Kulturen offen sein“, sagt sie. Der Lohn für das Engagement: Mehr als 80 Prozent der betreuten Azubis erreichen das Ausbildungsziel. „Außerdem“, ergänzt Hoppstock, „hält der Kontakt einen selber länger jung“.
Interessierte können Kontakt aufnehmen über zajons@urvconsulting.com oder ☎0163/4477085.
Näheres unter www.vera.ses-bonn.de
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