Sexarbeit ungefiltert

In der Ausstellung „Objects of Desire“ erzählen Gegenstände Alltagsgeschichten von Sexarbeiter*innen. Die Schattenseiten sind dabei genauso Thema wie Kritik an der Politik

Die SM-Skulptur „Lady Luxoria“ von der Künstlerin SchmerzMöbel – die Künstlerin will „den vielfältigsten sexuellen Fantasien einen realen Spielplatz geben“ Fotos: Klaas-Wilhelm Brandenburg

Von Klaas-Wilhelm Brandenburg

Ein Tag wie jeder andere in der Berliner Kurfürstenstraße: Frauen in eng anliegenden Tops und kurzen Röcken stolzieren die Straße entlang. „Wie geht’s?“, oder: „Hast du Lust?“, fragen sie Vorbeigehende. Zwei Straßen weiter steht Isaak Rion im Schwulen Museum und schaut auf eine kleine schwarze Tasche – seine Tasche. Sie ist Teil der Ausstellung „Objects of Desire“, Objekte der Begierde. In der geht es sowohl um Menschen wie Rion als auch um die Frauen in der Kurfürstenstraße: Die Ausstellung widmet sich Berliner Sexarbeiter*innen.

Rion macht Escortservice, meist schwul, und inseriert online. Er ist 28 Jahre alt, trägt die schwarzen Haare genauso raspelkurz wie Kinn- und Oberlippenbart. Rion ist auch Tänzer und Künstler, weshalb er ein Teil des Kollektivs ist, das die „Objects of Desire“ gestaltet hat – zusammen mit Anthropolog*innen, anderen Künstler*innen und Forschenden. Rion sagt: „Über Sexarbeitende wird viel geredet – mit ihnen viel zu wenig!“ Deshalb kommen sie bei „Objects of Desire“ selbst zu Wort: mit alltäglichen Geschichten, die anhand von verschiedensten Objekten erzählt werden.

Zu einem Teil sind Gegenstände mit offensichtlich sexueller Konnotation zu sehen: eine SM-Peitsche, ein noch original verpackter Analtunnel oder ein mit Geld gefülltes Kondom. Rion und seine Mitstreiter*innen haben letzteres „Muschitrinkgeld“ getauft: „Ein Trinkgeld, das ein Kunde einer Arbeiterin ins Kondom gepackt und dann in die Vagina geschoben hat“, sagt er. Aber es gibt auch auf den ersten Blick ganz Unscheinbares, wie Rions kleine schwarze Tasche.

Noch bis zum 1. Juni ist „Objects of Desire“ im Schwulen Museum, Lützowstraße 73 in Tiergarten, zu sehen.

Eintritt 7,50 Euro, ermäßigt 4 Euro, für Gruppen ab 10 Personen 5 Euro pro Person.

Öffnungszeiten Sonntag, Montag, Mittwoch und Freitag 14 bis 18 Uhr;

Donnerstag 14 bis 20 Uhr; Samstag 14 bis 19 Uhr; Dienstag Ruhetag.

Mehr Infos auf www.schwulesmuseum.de (taz)

In ihr befinden sich eine kleine Flasche Gleitgel, Massageöl, Kondome und ein Penisring. Rion hat sie immer dabei, in seinem Rucksack. „Seit ich sie habe, genieße ich sehr das Gefühl, allzeit bereit zu sein“, erzählt er. „Wenn zum Beispiel ein Job oder privater Sex aufkommen würde, hätte ich die Möglichkeit, darauf einzugehen.“

Es sind solche Geschichten, welche die Ausstellung spannend machen. Einige sind witzig, andere ernst und wieder andere ganz trivial – zum Beispiel die des Analtunnels: Ein Kunde schenkte ihn einer Sexarbeiterin, weil er ihn selbst nicht benutzen konnte – „obwohl das Teil ziemlich teuer war“, wie in ihrem Bericht zu lesen ist. „Wir wollen die Geschichten so erzählen, wie Sexarbeitende sie gerne erzählen möchten“, sagt Isaak Rion. Die Texte sich deshalb auch nicht bearbeitet worden – höchstens etwas gekürzt. „Und diese Geschichten sind total vielfältig – genauso wie die Arbeit selbst!“

Mehr als 40 Sexarbeiter*innen haben Isaak Rion und das „Objects of Desire“-Kollektiv für die Ausstellung interviewt. Von Menschen, die auf dem Trans*-Strich in der Frobenstraße ihr Geld verdienen, über Dominas, die in Studios arbeiten, bis hin zu Pornodarsteller*innen oder Sexarbeitenden, die wie Rion freischaffend online inserieren, kommen alle zu Wort.

Das war auch für das Schwule Museum ein Grund, die Ausstellung zu sich zu holen. „Wir möchten uns nicht anmaßen, über Sexarbeiter*innen oder für andere Communitys zu sprechen“, erklärt Anina Falasca vom Schwulen Museum. „Deshalb ist es uns ganz wichtig, dass die Texte selbst geschrieben und die Ausstellung selbst kuratiert ist – also dass die eigene Community über sich spricht.“

Anhand eines ausgestellten Messers erzählt eine Sexarbeiterin, wie ein Mann sie umbringen wollte

Das machen die Sexarbeiter*innen ziemlich schonungslos. So ist auch ein Messer Teil der Ausstellung, anhand dessen eine Sexarbeiterin davon erzählt, wie ein Mann, den sie auf der Straße traf, sie umbringen wollte. Sie wehrte sich und kam davon. Später erfuhr sie, dass dieser Mann bereits andere Sexarbeiterinnen getötet hatte – für sie war das der Grund, den Job aufzugeben.

An anderer Stelle wird die Ausstellung politisch: im „Hurenamt“, einem kleinen, abgetrennten Bereich. Darin geht es um das sogenannte „Prostituiertenschutzgesetz“, das Sexarbeitende seit eineinhalb Jahren verpflichtet, sich auf dem Amt registrieren zu lassen. Welche teils haarsträubenden Sachen Berliner Sexarbeiter*innen dabei passiert sind, ist dort zu lesen. Zum Beispiel eine Geschichte aus dem Gewerbeamt Reinickendorf: Als sich ein Sexarbeiter dort anmelden wollte, rief ein Mitarbeiter quer durch den Raum und für alle gut hörbar: „Hier ist jemand für’s Prostituiertengesetz!“

Handtasche, Kondom, Pfefferspray: Standardausrüstung Sexarbeit

Die Ausstellung bietet aber noch mehr als Geschichten: In einem zweiten großen Raum stellen Künstler*innen aus, die zum Teil selbst Sexarbeitende sind. Manche ihrer Werke beziehen sich auf Objekte der Ausstellung, andere auf das Leben und die Erlebnisse der Künstler*innen selbst. Auch hier entfaltet sich scheinbar Unscheinbares durch den Kontext – wie etwa das Origami eines Künstlers, der im Bordell arbeitet. Er nutzt die japanische Papierfalttechnik, um zwischen seinen Freiern den Kopf wieder freizubekommen.

Isaak Rion wünscht sich, dass diese Geschichten und die ganze Ausstellung vor allem eines über seinen Job vermitteln: „Das ist Arbeit, die auch viel Arbeit bedeutet und die sehr bunt ist.“ Für die gesellschaftliche Debatte über Sexarbeit wünscht er sich vor allem eines: „Mutet es euch zu, mehr zuzuhören, anstatt schon ständig Meinungen zu haben!“

Dem „Objects of Desire“-Kollektiv ist es mit der Ausstellung gelungen, ein differenziertes Bild von Sexarbeit zu zeichnen – eines, das genauso wenig beschönigt wie dramatisiert.