: Jugendliche Verirrungen
Zwei Mittzwanziger zwischen Schneckenschleim und Erdbeersöckchen: ein Selbstversuch
Schwarze, aber vor allem weiße Schuhe bahnen sich ihren Weg zwischen Rolltreppen, Designerständen und Kauflustigen hindurch. Die Gänge durch das Berliner Kaufhaus KaDeWe sind bevölkert von Sneakers. Es ist Freitag, kurz vor 14 Uhr. Wir lassen uns beraten: Was tut der Herr von heute für sein jugendliches Erscheinungsbild?
Schwarze Hose, weißes T-Shirt, Erdbeersöckchen. Unser Anliegen lässt die Verkäuferin zusammenzucken, doch sie bleibt professionell. Eifrig präsentiert sie Möglichkeiten, trendig in die jugendliche Masse einzutauchen. Entweder „draufgängerisch“ mit zerrissener Skinny Jeans und einem oversized Shirt oder doch „lässig, edel“ mit einer Mischung aus Anzug- und Jogginghose sowie bedrucktem Oberteil. David wählt die sportlich-elegante Variante. Jedoch erst, wenn man das Shirt in die Hose steckt und wieder ein Stück herauszieht, bekommt das Outfit eine Vagheit, die jegliche Einordnung in Kategorien verhindert. Die äußere optische Unentschlossenheit spiegelt Davids Gefühlslage, er ist überfordert.
Auch wenn sich an David eine neue Seite zeigt – zum jugendlichen Schwarm fehlt dann doch noch etwas. Vielleicht ist es auch nur die passende Körperhaltung? Wieder in vertrauten Kleidern, kriegen wir von der Verkäuferin die Dreifaltigkeit der modernen Jugendmode mit auf den Weg: „sportlich, classic oder premium“ sind die Kategorien, in denen man sich stilistisch bewegen darf.
Gegenüber dem KaDeWe befindet sich ein Beautysalon. Weiße Möbel vor weißer Wand, Massageliegen. Anne ist vorbereitet und fragt nach dem jüngsten Trend: Schneckenschleimbehandlung, das neue Mittel zur Hautverjüngung. Die Schnecken sind nicht im Angebot, stattdessen empfiehlt die Kosmetikerin Vampire Lifting. Dafür wird Eigenblut abgenommen, Plasma selektiert und in Gesicht, Hals oder Dekolletee gespritzt. Anti-Aging ist das Ziel. Auch wenn hier nicht gebissen wird, verzichten wir auf die Behandlung.
Weniger blutig geht es im Kosmetikladen nebenan zu. Einmal jugendlich schminken, bitte. Anne schließt die Augen, spürt Pinsel, Augenbrauen- und Lippenstift über ihre Gesichtshaut streichen. Die Furcht, in den Spiegel zu schauen, steigt. Auf den ersten Blick hat sich nichts verändert. „Nude ist angesagt“, erklärt die Kosmetikerin, „und wilde Augenbrauen.“ Tatsächlich wirken Annes Augenbrauen buschiger als zuvor. Ist das Zufall, oder muss die Jugend grimmig dreinblicken?
Zur jugendlichen Erscheinung gehört nicht nur die entsprechende Optik, sondern auch die richtige Einstellung. Expertise auf diesem Gebiet hat eine Lifecoachin. Ein Anruf bei „Soul Rebel“. Ihr Spezialgebiet: Menschen in Lebenskrisen jugendliche Vitalität zu verleihen. Wie das geht? „Sich neu ausprobieren, Ernsthaftigkeit verlieren“ und „spielerisch“ das Leben bestreiten. Oha. Entsprechend präzise auch Soul Rebels Leitsatz: „Ich sein, egal was ist.“
Katerstimmung auf der Rückfahrt in der U-Bahn. Wir fühlen uns älter denn je. Wenn es so energieraubend ist, Jugendlichkeit zu bewahren, sollten wir da nicht einfach älter werden?
Anne Baum und David Schäfer
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