: Verlorene Illusionen
Für ihren Roman „Schäfchen im Trockenen“, in dem es ihr sogar gelingt, die Unwägbarkeiten der Kitabetreuung zu literarisieren, wird Anke Stelling mit dem Preis der Leipziger Buchmesse geehrt
Von Dirk Knipphals
Noch vor ein paar Monaten wurde Anke Stelling von einem Journalisten in ein Gespräch über das Politische in der Literatur verwickelt; und sie hat dann einen interessanten Essay darüber geschrieben. Von sich zu erzählen, statt von den großen politischen Themen der Zeit (Migrationskrisen, Rechtspopulismus) wertete der etwas zu schnell vorpreschende Journalist damals als „Nabelschau“.
Anke Stelling hielt dagegen. „Der Nabelschauvorwurf ist ein Machtinstrument, dazu da, Subjektivität zu verhindern, Stimmen zu unterdrücken und Hegemonie zu behalten“, schrieb sie und kam auf Klassen- und Geschlechterverhältnisse zu sprechen.
Und dann folgte ein Satz, der auch viel davon enthält, was den Roman „Schäfchen im Trockenen“ im Kern ausmacht: „Wenn ich ,ich' sage und anhand meines Beispiels etwas und mich selbst behaupte, dann geschieht das gegen Widerstände. Und erzählt deshalb von ihnen.“
Eine Erzählstimme zu behaupten, die gegen Widerstände anerzählt und dabei im Erzählen viel über diese Widerstände verrät, das ist Anke Stelling tatsächlich großartig gelungen. Es geht dabei um die sogenannten feinen Unterschiede im Verhalten und im Habitus, die die Gesellschaft dann aber eben doch ziemlich grob in Kategorien von Oben und Unten, Drinnen und Draußen strukturieren.
„Schäfchen im Trockenen“ funktioniert auf mehreren Ebenen, und die Erzählstimme der Resi, die hier über ihr eigenes Leben und das ihrer Kinder, Freunde und Eltern nachdenkt, ist viel literarischer, als es zunächst scheinen mag. Anke Stelling ist sehr gut darin, diese kleinen treffenden Bemerkungen einzubauen, in denen ganze Schicksale aufscheinen können. An einer Stelle ist die Rede von einer Frau, die Kinder bekommt und damit bald „dran war mit dem mütterlichen Nicht-Schaffen und Trotzdem-Müssen“. Nicht schaffen, trotzdem müssen – der ganz normale, ganz alltägliche Wahnsinn von Kinderhaben, hineingequetscht zwischen den Anforderungen der Arbeitswelt und den Unwägbarkeiten der Kitabetreuung, ist hier mal eben auf eine literarische Formel gebracht.
Auf dieser Ebene ist „Schäfchen im Trockenen“ ein in vielem desillusionierter, zwischendurch aber immer wieder auch sehr anrührender Roman über Mutterschaft und überhaupt über die Erfahrung, hier und heute Kinder in die Welt zu setzen. Was allein schon bemerkenswert ist. So viele Romane auf dieser Reflexionsebene haben wir ja nicht.
Darüber hinaus hat Anke Stelling ein feines Gespür für die Massivität der feinen Unterschiede. In einer der vielen Szenen, die einem gerade in ihrer Alltäglichkeit das Blut gefrieren lassen können, erinnert sich Resi daran, wie sie einmal die Eltern ihres damaligen Freundes besuchte.
Altes Geld, alles schön gedämpft und akkurat eingerichtet. Man sang zusammen, machte Hausmusik. Resi dagegen konnte nur Blockflöte. In solchen Szenen wird klar, wo in unserer Gesellschaft sich die Milieus trennen in die, denen ein souveräner Umgang mit der eigenen Stimme mitgegeben wurde, und die, die dabei immer wieder Schamgrenzen zu überwinden haben.
Politisch werden diese Unterschiede spätestens in dem Moment, in dem das Thema Erbschaft eine Rolle spielt, und das tut es in der erzählten Realität des Romans und auch in der Wirklichkeit außerhalb des Buchs ja immer noch. Die Lebensrealität vieler Menschen entscheidet sich spätestens so um die vierzig entlang der Frage, ob ihre Eltern ihnen eine schöne Eigentumswohnung kaufen können oder nicht.
Resis Eltern können es nicht. Aus ihrer Mietwohnung, die sie sich noch leisten können, muss Resi mit ihrem Partner und ihren Kindern aber ausziehen. Das Drama, diese Situation zu verarbeiten, setzt den Erzählmotor von Anke Stellings Roman in Gang. Sie macht, und das macht erst die eigentlich interessante Wendung ihres Romans aus, auch klar, dass diese Lage auch für diejenigen, die auf der Gewinnerseite stehen, ein Problem darstellt, das sie gegenüber ihren ärmeren Bekannten und Freunden zu manchen Bewusstseinskapriolen zwingt: Sie nehmen es nämlich allein schon übel, wenn Resi auf diese Situation überhaupt nur hinweist. Freundschaft hört beim Geld irgendwann auf.
Und da ist „Schäfchen im Trockenen“ auch ein ziemlich trauriges Buch über verlorene Illusionen. Mit ihren Freunden hatte Resi einmal in einem Wohnprojekt den Traum geträumt, anders zu leben, vor allem „anders zusammenzuleben“, solidarisch, auf gleicher Ebene. Es ist alles andere als eine Nabelschau, davon zu erzählen, wie dieser Traum platzte.
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