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Nachmittage mit viel Kuchen

Der Münchner Schauspieler und Sänger Friedrich Steinhauer alias „Nachtigall von Ramersdorf“ ist im Alter von 85 Jahren gestorben. Erinnerungen an einen gefeierten Helden des Undergrounds

Friedrich Steinhauer (1934–2019) Foto: Roland Owsnitzki

Von Detlef Kuhlbrodt

Verene hatte angerufen und erzählte, dass Friedrich Steinhauer, die Nachtigall von Ramersdorf, gestorben ist. Sie war seine beste Freundin, hatte den Sänger und Kleinkünstler seit Anfang der Nullerjahre betreut. Seit seiner Erblindung sei er immer friedlicher geworden. Erst später fiel mir ein, dass ich gar nicht gefragt hatte, wann genau er gestorben ist. Es war am 12. Februar gewesen sein. 85 Jahre alt ist er geworden – ich hatte ihn immer für weit jünger gehalten.

Am 20. März wurde Friedrich nun in Mitte begraben, auf dem Friedhof, auf dem auch Brecht liegt – Lieder aus der Dreigroschenoper gehörten zu seinem Repertoire, dass er viele Jahre in Lokalen präsentiert hatte. „Und der Haifisch, der hat Zähne …“ Oft beschimpfte er Gäste, die sich durch sein Singen belästigt fühlten, gab Leuten, die sagten, sie seien zu arm, aber auch zuweilen Geld, dass er verdient hatte. Er hatte ein gutes Herz.

Es war ein schöner Frühlingstag, die Sonne schien wie damals, als ich Friedrich in München zum ersten Mal begegnete. Er hatte gesungen und später einen Menschen beschimpft, weil der so pausbäckig ausgesehen hatte. Ich war stolz, dass ich nicht so rosige Bäckchen hatte. Sein Messitum war legendär. Die Wohnung war so vollgestopft, dass man kaum rein kam.

In München war die Nachtigall ein anerkannter Undergroundkünstler. Vorübergehend hatte er zu Ringsgwandls „Gurkenkönig“-Truppe gehört, war mit Marianne Sägebrecht aufgetreten. Er hatte in Achternbuschs „Bierkampf“ (1977) gesungen, in Klaus Lemkes „Flitterwochen“ (1980) einen Reiseleiter gespielt, war in Alexander Kluges „Die Macht der Gefühle“ (1983) dabei, hatte neben Lotti Huber die Hauptrolle in Rosa von Praunheims „Horror Vacui“ gespielt. In den Filmen „Nach Wien“ (1982) und „Mein Freund Fritz“ (1979/80) von Friedemann Beyer war er am prominentesten.

In den Achtzigern war Steinhauer nach Berlin gezogen. 1984 waren wir uns bei den Dreharbeiten zu von Praunheims „Horror Vacui“ wieder begegnet. Friedrich hatte die Hauptrolle gespielt, ich war Komparse gewesen. Dann hatten wir uns immer mal getroffen. Ich liebte es, wenn er sein Leben sozusagen aufführte, und davon erzählte, wie seine Mutter, eine Blumenverkäuferin, ihm ein Kleidchen angezogen hatte, als sie mit ihm durch Nachtlokale gezogen war. Manchmal hatte er beim Sprechen die Wangen aufgeblasen; dann sah man das Gesicht des kleinen Jungen, der er einst war. „Meinst du, dass kleine Jungs am glücklichsten sind?“ – „Ich denke schon“, hatte er mit Erwachsenenstimme gesagt, um dann in die Stimmlage eines kleinen Jungen zu wechseln, der so gerne mal das Oktoberfest sehen möchte. „Karussel fahren und anschauen, was alles da ist. Erwachsene dürfen alles, ich als kleiner Junge darf nichts tun.“

Zehn Leute sind gekommen, um von der Nachtigall Abschied zu nehmen. Friedemann Beyer, Axel Witte, der Friedrich noch von ganz früher kennt und zusammen mit ihm in „Mein Freund Fritz“ gespielt hatte, Cora Frost, Verene, sein Engel, natürlich …

In der Kapelle steht sein Bild; ein schönes Künstlerporträt, das Friedemann Beyer in den Siebzigern aufgenommen hatte. Probst Gerald Goesche spricht über Friedrich als gläubigen Katholiken, der schwer am Suizid seines Vaters gelitten hatte. Friedemann Beyer erinnert sich an die Sonntage, an denen ihn die Nachtigall mit Paketen voller Kuchen besucht hatte „und dann ließen wir es uns gut gehen“. Später am Grab ist es schön, dass auch für den nächsten gebetet wird, der sterben wird.

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