: Der Unverbogene im Stangenwald
Felix Neureuther beendet seine Karriere als alpiner Rennläufer. Die Lücke, die er hinterlässt, ist groß. Das liegt auch an seinem einnehmenden Wesen
Von Elisabeth Schlammerl
Im Ziel wurde es noch einmal laut. Felix Neureuther deutete eine Verneigung an, nachdem er zum letzten Mal in seiner Ski-Karriere über die rote Linie gefahren war. Dann kam Viktoria Rebensburg herbeigeeilt und übernahm das Kommando bei der unvermeidlichen Sektdusche, um Neureuther feuchtfröhlich im Kreise der Kollegen aus den anderen Nationen zu verabschieden. „Es wird einem so richtig klar, dass ein neues Kapitel beginnt. Das ist nicht so ohne“, sagte Neureuther im ZDF.
Er hatte diesen letzten Auftritt ernst genommen, wollte nicht in Tracht wie zuvor die Schwedin Frida Hansdotter mit einer Gaudifahrt die Karriere beenden, sondern mit einer guten Leistung. Als Siebter schaffte er beim Weltcup-Finale in Soldeu/Andorra sogar sein bestes Saisonresultat.
Am Samstagnachmittag hatte Felix Neureuther seinen Entschluss auf den sozialen Medien mitgeteilt, seine Karriere mit dem Weltcup-Finale zu beenden, eine gute Woche vor seinem 35. Geburtstag. „Mein Herz und vor allem mein Körper haben mir in den letzten Monaten deutlich zu verstehen gegeben, dass es an der Zeit ist, dieses für mich so wunderschöne Kapitel Skirennsport zu beenden“, schrieb er. Gereift ist die Entscheidung in den vergangenen Wochen, es war „ein Prozess, der schon etwas länger gedauert hat“, an deren Ende er feststellen musste: „Mein Körper war nicht mehr bereit dafür, dass ich weiterkämpfe.“
Der deutsche Wintersport verliert nicht nur einen noch immer sehr guten Skirennläufer, sondern vor allem eines seiner größten, wenn nicht das derzeit größte Aushängeschild. Alpinchef Wolfgang Maier, der wie die Trainer am Donnerstag von Neureuther über das Karriereende informiert worden ist, spricht von Neureuther als „Galionsfigur“, die der DSV nun verliert und der Weltcup-Zirkus einen, wie Konkurrent Marcel Hirscher sagt, „beeindruckend feinen Kerl“. Maier hatte bereits nach Neureuthers Kreuzbandriss im November 2017 von der „Strahlkraft“ seines besten Läufers geschwärmt, „da können andere einpacken“.
Er hat den schwierigen Spagat zwischen Distanz und Nähe in der Öffentlichkeit hinbekommen. Als Star seiner Branche weckte er die Begehrlichkeit, den Menschen hinter dem Sportler kennenzulernen – und er erfüllte diese. Auf den sozialen Medien gab Neureuther immer wieder einmal kleinere Einblicke in das Privatleben, ohne sich aber vereinnahmen zu lassen. Seine Hochzeit im Dezember 2017 blieb somit geheim, auch konnte er sich in seiner Heimat Garmisch-Partenkirchen nahezu unbeobachtet fühlen. Ihm gelang damit, was wenige Menschen hinbekommen, die im Rampenlicht stehen: Er hat sich nie verbogen oder sich verbiegen lassen. Felix Neureuther blieb Felix Neureuther, im Erfolg wie im Misserfolg.
Dabei stand er aufgrund seines Namens früh im Mittelpunkt. Als Sohn von Doppel-Olympiasiegerin Rosi Mittermaier und dem ehemaligen Weltklasse-Slalomläufer Christian Neureuther galt er bereits als Versprechen für das damals gerade an Siegfahrern arme deutsche Ski-Team, als er sportlich ein Stück entfernt war von den Besten. Die Familienbürde lastete oft schwer auf ihm, aber er ließ sich dies kaum einmal anmerken.
Felix Neureuther
Erst später, als er oben angekommen war, gab er zu, dass diese ersten Jahre schwierig waren. Dass Neureuther erst mit knapp 26 Jahren seinen ersten Weltcup-Sieg schaffte, lag aber nicht nur am Druck, an der öffentlichen Erwartungshaltung. Neureuther nahm wie das Leben auch den Sport bisweilen ein bisschen zu locker. Konditionstraining war für ihn lange Zeit ein Übel, vor dem er sich drückte, wenn es ging.
Seine Karriere nahm erst richtig Fahrt auf, als er die Notwendigkeit erkannte, sich auch einmal zu quälen. Der erste Sieg 2010 in Kitzbühel war wie eine Erlösung für ihn. Der Papa, der selbst 31 Jahre davor auf dem Ganslernhang triumphiert hatte, fiel dem Sohn mit Tränen in den Augen um den Hals „Emotionaler geht’s nicht mehr“, sagt Felix Neureuther. „Das war eigentlich der Moment meiner Karriere.“ Nach dem Wechsel der Skimarke 2011 begann seine erfolgreichste Phase.
Insgesamt gewann er fünf WM-Medaillen, darunter einmal Gold und einmal Bronze im Teamwettbewerb, holte 13 Weltcup-Siege sowie 41 Podestplätze. Er tritt als erfolgreichster deutscher Skirennläufer ab – trotz fehlendem Edelmetall bei Olympia. „Ich habe immer wegschieben wollen“, sagte Alpinchef Maier, „dass der Tag kommt, an dem er aufhört“. Gestern in Andorra konnte er nichts mehr wegschieben.
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