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Alle schauen gebannt nach Algier

Von Tunesien bis Sudan teilen Unzufriedene den Frust der Algerier über alte Dauer-Präsidenten

Aus Tunis Mirco Keilberth

Ein Polizist reißt einem Demonstranten das selbstgemalte Plakat aus der Hand. Als der junge Mann sich wehrt, versucht der Ordnungshüter, ihn in einen vergitterten Bus zu zerren. Danebenstehende Passanten verhindern schließlich lautstark die völlige Eskalation zwischen den Demonstranten, die Sprechchöre gegen eine erneute Kandidatur des algerischen Präsidenten Bouteflika skandieren, und der bewaffneten Sonderpolizei.

Diese Szene spielte sich am Wochenende nicht in Algier, sondern vor dem Nationaltheater in Tunis ab. Vor acht Jahren hatten die Massenproteste auf der dortigen Avenue de Bourguiba Jugendliche aus Libyen und Ägypten motiviert, gegen die Langzeitherrscher in ihren Ländern auf die Straße zu gehen. Nun schaut der Maghreb ebenso gebannt nach Algier, wo an den letzten Wochenenden wohl mehr Menschen friedlich auf die Straße gingen als in Kairo oder Tunis während des Arabischen Frühlings.

Während offizielle Medien die Proteste totschweigen, diskutieren die Menschen in den Cafés von Tripolis und Tunis und reagieren mit Unverständnis auf das sture Vorgehen des algerischen Regimes, das an längst vergessene Zeiten ­erinnert.

„Die Lebensumstände vieler Jugendlicher haben sich im Maghreb in den letzten acht Jahren verschlechtert“, sagt der tunesische Politikwissenschaftler Hamza Meddeb. „Nach den Revolutionen herrschen in Libyen Milizen, in Tunesien eine Wirtschaftskrise und in Ägypten geht das Militär gegen die Zivilgesellschaft vor. Nicht nur in Algier wollen viele die korrupten politische Eliten loswerden und hoffen auf ein besseres Leben, wie im Jahr 2011.“

Das rigorose Vorgehen der Polizei in Tunesien zeigt, dass man im Innenministerium seine Analyse teilt. Kurz vor dem Treffen der Arabischen Liga Ende des Monats in Tunis soll jeder Protest im Keim erstickt werden.

Eigentlich hatten Beobachter wie Meddeb schon im Januar mit Streiks und Protesten in Tunesien anlässlich des Jahrestages der Jasminrevolution gerechnet, auch weil der 93-jährige Präsident Beji Caïd Essebsi Ende des Jahres wohl erneut bei den Präsidentschaftswahlen antreten will. Doch mithilfe von Krediten der Weltbank, der EU und Saudi-Arabien konnte die zerstrittene Regierung Anführern von sozialen Unruhen Jobs anbieten und die Lage beruhigen. „Zudem sitzen in Südtunesien rund 600 Menschen im Gefängnis, weil sie gegen Korruption und Polizeigewalt auf die Straße gegangen waren – politische Gefangene, von denen niemand laut spricht“, so Meddeb.

Ein Rückfall Algeriens in das „Schwarze Jahrzehnt“, wie der Konflikt zwischen Islamisten und der Regierung Mitte der 90er Jahre mit über 150.000 Toten genannt wird, hätte für die Nachbarländer schwerwiegende Folgen. Hunderttausende algerische Touristen haben nach dem Ausbleiben der Europäer im letzten Jahr Tunesiens Tourismusindustrie gerettet.

Die Überfälle von versprengten radikalen Gruppen in Südtunesien und die im benachbarten Libyen stärker werdenden Salafisten zeigen aber auch, dass aus Syrien zurückkehrende Radikale bereit stehen, das Vakuum zerfallender diktatorischer Ordnung für sich zu nutzen.

Wie in Algerien begründen auch die Regime im Tschad und Sudan ihre Kompromisslosigkeit mit der angeblich drohenden islamistischen Gefahr. Sudans Präsident Omar Hassan al-Bashir will trotz massiver Proteste seit Dezember auf den Straßen Khartums und anderer Städte nicht gehen, und auch der seit 29 Jahren im Tschad regierende Idriss Déby geht gegen die Opposition militärisch vor – mithilfe der französischen Luftwaffe, die aus Libyen eingedrungene tschadische Rebellen bombardiert hat.

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