: Lauwarmer Neubeginn
Nach dem Rausschmiss von Ralf Beil bekommt das Wolfsburger Kunstmuseum mit Andreas Beitin einen neuen Leiter. Dessen erste Ausstellungsprojekte klingen ambitioniert, aber auch nach vorauseilendem Kompromiss. Wie man produktiv mit der Krise am Kunststandort umgehen kann, zeigt derweil die Städtische Galerie
Von Bettina Maria Brosowsky
Zum 1. April übernimmt ein neuer Direktor das Kunstmuseum Wolfsburg: Andreas Beitin, promovierter Kunsthistoriker, 1968 im Schleswig-Holsteinischen geboren. Beitin war die vergangenen zwei Jahre Leiter des Ludwig-Forums für Internationale Kunst in Aachen, davor elf Jahre am Karlsruher Zentrum für Kunst und Medien tätig. Seine letzte große Ausstellung in Aachen zur Kunst der 68er und der „Macht der Ohnmächtigen“ wurde im November 2018 zur Ausstellung des Jahres gekürt, bereits 2017 erhielt er mit zwei Kolleg*innen den Justus-Bier-Preis für kuratorische Leistungen. Er ist also ein gestandener und kreativer Museumsmann, was will man mehr.
In Wolfsburg tritt er ein schwieriges Erbe an. Nicht nur der flamboyante Gründungsdirektor, der Niederländer Gijs van Tuyl, der das Haus vom 1992 bis 2005 leitete, legte die Messlatte hoch. Sein Nachfolger, der in intellektuellen Sphären operierende Schweizer Markus Brüderlin, verordnete dem Haus ein konzeptionelles Suchprogramm zur Moderne im 21. Jahrhundert, ein forschendes Museum war sein Ziel.
Und dann kam Ralf Beil, mit jungenhaftem Elan ebenso mitreißend wie geistig erhaben über die Geldgeber seines Hauses. Der VW-Konzern, der 30 bis 40 Prozent des großzügig bemessenen Jahresetats des Privatmuseums beisteuert, war sichtlich wenig amüsiert über Beils kuratorische Systemkritik: Sein Vertrag sollte vorzeitig gelöst werden, zu Weihnachten überraschte dann der spektakuläre Rauswurf. Juristische Fragen, etwa zur Urheberschaft der inkriminierten und bis auf Weiteres verschobenen Ausstellung „Oil. Schönheit und Schrecken des Erdölzeitalters“ bedürfen noch der Klärung, so der Geschäftsführer des Hauses, Otmar Böhmer, zur aktuellen Lage der Causa Beil. Denn diese stand indirekt im Zentrum des Interesses, als Andreas Beitin kürzlich sich und sein Programm vorstellte.
Nicht unsympathisch trat Beitin auf, präsentierte aus seiner Bewerbung, die offensichtlich von langer Hand hinter Beils Rücken verhandelt worden war, seine ersten eigenen Ausstellungsprojekte für Wolfsburg. Da wäre die Einzelschau des Südafrikaners Robin Rhode. Anstelle von Beils „Oil“ springt er Ende September mit multimedialen Arbeiten, ausgehend von Zeichnung und Linie, in die Bresche. Danach folgt Medienkunst, der Japaner Ryōji Ikeda ersinnt eine Installation für die große Ausstellungshalle. Licht, auch in einer politischen Dimension als Überwachungsinstrument, wird 2020 thematisiert. Anschließend die Mundhöhle – eine „äußerst reizvolle Körperzone“ gemäß Ankündigungstext – in einer kulturwissenschaftlichen Motivgeschichte betrachtet.
Das klingt anspruchsvoll, ist aber „business as usual“. Kann so dem Flurschaden begegnet werden, den die unrühmliche Demission Beils bereitet hat, der mehr als angeschlagenen Glaubwürdigkeit des Kunstmuseums als autonomer, in ihrer Themensetzung freier Institution? Wohl nicht. Auch weitere Verlautbarungen Beitins klangen wohltemperiert, nach vorauseilendem Kompromiss mit allen Beteiligten: Er wolle das Haus weiter „entwickeln“, noch globaler orientieren, mehr weibliche Kunstbeiträge, gar Feministisches, ins Programm holen. Den Mut, nach drei Männern einfach mal eine Direktorin zu berufen, hatte man in Wolfsburg ja offensichtlich nicht.
Und auch Beitins Herzensanliegen, mittels eines Sponsors einen kostenfreien Tag für weniger gut situierte, nicht kunstaffine Bevölkerungssegmente zu ermöglichen, kann angesichts der finanziellen Möglichkeiten des Hauses nur belustigen.
Wie man produktiv mit einer Krise verfährt, demonstriert derweil die Städtische Galerie im Wolfsburger Schloss. Hier geht es um existentielle Fragen, die Stadt Wolfsburg vernachlässigt schon lange ihren eigenen Kunst-Standort. Nun ging ein „Liquidator“ in Gestalt des Berliner Künstlers Michael Müller ans Werk. Räume sind (fast) leer, die Wände in graues Textil gehüllt, mit Schallschutzkopfhörern soll man sie, auch akustisch vereinsamt, erkunden. Ob sich die Räume wieder füllen, wenn ja: wie – das wird bis Ende 2020 in acht Fassungen erkundet.
„Michael Müller. Deine Kunst II“: Ab 18. 5., Städtische Galerie Wolfsburg
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen