Ausgehen und rumstehen von Robert Mießner: Reißt das Stadtschloss wieder ab. Prophylaktisch
Die Russen sind gelandet! Zehn Minuten vom Kurfürstendamm, an der Ecke Schaperstraße/Bundesallee, hört ein Café auf den Namen Piter. Das ist der Kosename, den die Bewohner von Sankt Petersburg für ihre Stadt verwenden. Auf dem Eingangsschild ist rechts die Silhouette der zweitgrößten Stadt Russlands zu sehen, links das Standbild dessen, der die Stadt nach seinem Schutzpatron Simon Petrus (nicht nach sich selbst) benannte: Zar Peter der Große. Das Standbild hat Alexander Puschkin in seinem Gedicht „Der eherne Reiter“ verewigt, und wer weiß, vielleicht steht es in der Wohnung über dem Café, deren Fenster am Freitagabend den Blick auf eine beeindruckende Bibliothek freigaben. Gern hätte ich geklingelt und gefragt, ob ich mal einen Blick reinwerfen werfen dürfe, doch bin ich kein aufdringlicher Mensch. Ich musste auch weiter.
Im Gehen fiel mir noch ein: „Piter“, das wäre ein Kneipenname im mythenumwobenen Prenzlauer Berg der frühen Neunziger gewesen. Nur hätte ein Schalk gleich daneben die nächste eröffnet und sie „Trotzki“ getauft, ein dritter dann gegenüber das „Machno“ eröffnet, nach dem ukrainischen Anarchisten, dessen Bewegung sich auf die Seite der Oktoberrevolution schlug und der es Trotzki und die Rote Armee mit der gewaltsamen Niederschlagung dankten.
Der Durst der frühen Neunziger war enorm, und er hatte sicherlich auch mit einer Enttäuschung zu tun. Von dieser war einige Hausnummern weiter zu hören, im Haus der Berliner Festspiele, das sich für das ganze Wochenende in den Palast der Republik verwandelt hatte. Zur Erinnerung: Bei ihm handelte es sich um ein 1976 eröffnetes Gebäude, das sowohl als Sitz der DDR-Volkskammer als auch als Kulturhaus fungierte. Sprich, es konnte vorkommen, dass einerseits die SED und ihre Blockparteien tagten, andererseits eine Rockband spielte.
Der Volksmund soll den Palast der Republik „Erichs Lampenladen“ genannt haben; ich kann mich aus meinen 17 Jahren DDR nicht daran erinnern, diese Bezeichnung jemals verwendet zu haben. Eine Umfrage im Freundeskreis gab mir recht, freilich mit dem Hinweis, dass durchaus so vom Palast geredet wurde, was mit Blick auf seine Inneneinrichtung auch nicht abwegig erschien.
Das Haus ist nach seiner asbestbedingten Schließung von 2006 bis 2008 abgerissen worden, damit dort wieder Berliner Stadtschloss ersteht, das 1950 wiederum von der jungen DDR gesprengt worden war. Blixa Bargeld übrigens, der mit den Einstürzenden Neubauten am 4. November 2004 den Palast der Republik bespielt hatte, will dem Gebäude nicht nachtrauern, sagt aber: „Ich bin ja auch dafür, das Stadtschloss schon wieder abzureißen. Prophylaktisch.“
Der „Palast der Republik“ in der Schaperstraße, im alten Westberlin, war als Veranstaltungsreihe konzipiert, die, wie es Thomas Oberender, Intendant der Berliner Festspiele, im Programmheft formulierte, versuchte, „die progressiven Impulse der Revolution im Osten aufzugreifen und mit den aktivistischen, demokratieverteidigenden Kräften von heute zusammenzubringen“.
Am Eröffnungsabend wurde der Verfassungsentwurf des runden Tischs für die DDR zwischen Wende und Wiedervereinigung diskutiert, ein Entwurf, in dem sich Sätze finden wie dieser: „Jeder Bürger hat das Recht auf angemessenen Wohnraum. Es ist ein gesetzlicher Kündigungsschutz vorzusehen. Bei der Abwägung der Interessen des Nutzers und des Eigentümers der Wohnung ist der überragenden Bedeutung der Wohnung für die Führung eines menschenwürdigen Lebens besonderes Gewicht beizumessen. Eine Räumung darf nur vollzogen werden, wenn Ersatz zur Verfügung steht.“
Die Stühle des runden Tischs, 1989/90 ein Dialogorgan der Bürgerbewegungen und der alten Macht, standen derweil gestapelt und ineinander verschachtelt im Eingangsbereich der Festspiele. Renovierung ist angesagt, aber keine Angelegenheit weniger Tage.
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