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Das System wird triumphieren

In herrlich krawalligem Rampentheater-Modus inszeniert Mathilde Lehmann Friedrich Dürrenmatts „Alte Dame“ mit neuen Prothesen und nur drei Darsteller*innen im Brauhauskeller

Von Benno Schirrmeister

Lieben Sie den Text? Dann sind Sie hier falsch: Wer an Friedrich Dürrenmatts „Der Besuch der alten Dame“ die einzelnen Wendungen und die betulichen 1950er-Späßchen besonders schätzt, wird keine Freude an dem Theaterabend im Brauhauskeller haben. Denn Regisseurin Mathilde Lehmann und Dramaturgin Simone Sterr haben das 32-Personen-Stück kaltblütig auf eine Moritat für die Minibühne des Brauhauskellers und inhaltlich auf die böse funkelnde Grundkonstellation des Werks zurechtgestutzt, und diese wiederum mit lokalen Witzchen garniert und in hippe ökonomische Theorie gehüllt. Moritat nennen sie’s, ein großer Spaß ist es. Premiere war am Dienstag.

Gerade mal drei Darsteller*innen übernehmen die verbliebenen zwei Rollen. Die eine von ihnen ist Gabriele Möller-Lukasz als schwerreiche Claire Zachanassian, die ihrem verarmten Heimatort Güllen eine Milliarde bietet, „wenn jemand Alfred Ill tötet“. Den, ihre untreue Jugendliebe, verkörpern Guido Gallmann und Alexander Angeletta, in denen sich der ganze Ort – also die Gesellschaft – das Vergehen der Zeit und das Wachsen der Schuld kristallisieren.

Nanako Oizumi hat mit nicht viel mehr als einer großen Polyethylen-Folie, die von der Decke hängt, und Baustellenbrettern die tiefe Bühne des Brauhauskellers in das in Auflösung begriffene Gemeinwesen verwandelt, das im Text Güllen heißt, hier aber Bremen meinen soll: Fast schon klaustrophob macht das die Atmo in der Spielstätte, keiner wird hier lange bleiben wollen – und wie ein Choc bricht die edel gewandete Zachanassian in dieses Elend ein.

Von nun an wird Möller-Lukasz im Grunde nur noch zusehen müssen, wie Gallmann und Angeletta in wimmelnde Unruhe verfallen und sich der dünne Lack der Güllener Zivilisation in ein Medley aus Unruhe und Betriebsamkeit auflöst: Goethe hat hier übernachtet, darauf reduziert sich schnell die humanistische Tradition, „diese Werte verpflichten“, erinnert Gallmann, in dieser Passage komplett werktreu, daran, dass nichts so unsterblich ist wie genau die abgedroschenen Floskeln, die Dürrenmatt schon meisterlich seziert hatte. Währenddessen wirbt Angeletta schon mit restlos überzeugenden Handzetteln dafür, wie Güllen auf dem ehemaligen Kellogg’s-Gelände urbanes Wohnen in bester Wasserlage entwickeln wird können. Sobald nur erst einmal das Geld da ist, das ja sicher kommt. Samt Fischhotel.

Das Gemeinwesen heißt in Dürrenmatts Text Güllen, soll hier aber Bremen meinen

Drei Personen heißt nicht immer nur Kammerspiel: Für Finesse ist in dem Regiekonzept kein Platz, und erst recht nicht für ergreifende Figurengestaltung. Hier ist Overacting Pflicht. Bis zum Maskenhaften stark geschminkt und zur Karikatur grimassierend, können ja zwei Schauspieler erst eine Masse, eine ganze Stadtgemeinschaft darstellen. Und gerade in diesem Volks- oder Rampentheatermodus gelingt es gut, das Stück von seiner Zeitgebundenheit zu befreien und, statt sich in der am Ende auch nicht mehr wirklich erregenden Kritik an bürgerlicher Scheinmoral zu ergehen, zwanglos überzuleiten in einen Auszug aus David Graebers „Schulden. Die ersten 5.000 Jahre“. Das ist gleichsam eine neue Prothese der „Alten Dame“.

Graebers anarchistische Geldtheorie rechnet mit dem moralisierenden Fundament des Finanzwesens ab, also mit der zwanghaften Vorstellung, Schulden begleichen zu müssen. Und Gallmann rezitiert sie so passend, als wäre diese Revolte Ills – denn nur das Ende des Kapitalismus könnte ihn noch vor dem Tode retten – bereits von Anfang an in seiner Rolle angelegt gewesen. Ja, Revolte. Denn das System wird triumphieren, und er, in effigie, zerfetzt, von Händen, die keiner Person mehr zuzuordnen sind. Die Schuld zu tilgen heißt am Ende nur, sie zu vergrößern.

Wieder am 13., 15. und 28. März sowie am 18. und 25. April, jeweils 20 Uhr, Brauhauskeller

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