Bezaubernde Agitation in Ton

„40 Jahre Kunst im Kontext“ in der nGbK handelt von der Geschichte eines Projekts, das sich zum Ziel gesetzt hatte, Kunst als Kommunikationsmittel auch für diejenigen zu öffnen, die nicht zu den kulturellen Eliten gehören

Westberlin als Ort einer Kunstpraxis, die mit der Gesellschaft kommuniziert. Potsdamer Platz 1978Foto: Klaus Mantze

Von Jan Bykowski

„Kunst im Kontext“ hat es geschafft. Kunst wird auch zu den Menschen gebracht, die sich nicht innerhalb eines auf mitunter seltsamen Wegen wandelnden Kunstbetriebes befinden. Damit ist das inzwischen als Postgraduierten-Studiengang an der Berliner Universität der Künste etablierte Projekt mit einer Idee erfolgreich, mit der Joseph Beuys 1973 noch gescheitert war.

Beuys’ Versuch, den Zugang zur Düsseldorfer Kunstakademie für alle zu erleichtern, führte damals zu seiner Entlassung als Direktor. Zwei Jahre zuvor hatte er die Gelegenheit versäumt, am „Bundeskongress der Künstler“ 1971 in der Frankfurter Paulskirche teilzunehmen. 300 freie Künstlerinnen und Künstler waren gekommen. „Angeblich frei“, wie der Mitbegründer der Berliner nGbK, Gernot Bubenik, sie in seiner Eröffnungsrede beschrieb. Denn frei seien sie nur, „ihre Freiheit zu verkaufen“.

1978 führte der Aufbruch der Künstler zur Gründung des „Modellversuchs Künstlerweiterbildung“, dem Vorläufer von „Kunst im Kontext“. Auch heute ist unmittelbar plausibel, wie notwendig die Arbeit daran ist, Kunst als Kommunikationsmittel auch für diejenigen Teile der Gesellschaft zu öffnen, die nicht zu jenen ökonomisch stark aufgestellten und selbst empfundenen kulturellen Eliten gehören, die den Kunstbetrieb gern als ihre VIP-Lounge verstehen.

In den Siebzigern des vergangenen Jahrhunderts sah aber vieles noch anders aus – die Ausstellung „40 Jahre Kunst im Kontext“ in der nGbK macht das deutlich. Der erste Blick bei Betreten der Ausstellung verursacht ein unwillkürliches: „Ach damals …“ Ein großformatiges Foto von 1978 zeigt den Potsdamer Platz. Eine große Brache auf der westlichen Seite der Mauer, darauf das Tempodrom, damals noch im Zirkuszelt. Am Rand ist das Haus Köthener Straße 44 zu sehen. Das Land Berlin hatte den Kauf des Hauses gefördert, es beherbergte Verwaltung und Zimmer für Studierende.

So beginnt der Rundgang aus Texten, Bildern und audiovisuellen Dokumenten der Geschichte von „Kunst im Kontext“. Knapp 80 Prozent der leider wenigen Archivalien des Projekts sind hier zu sehen, schätzt Kuratorin Claudia Hummel. Entlang der Wände der Ausstellungshalle der nGbG in der Oranienstraße entfaltet sich eine Zeitleiste.

Aktionen wie die „Mitmachstadt“ gingen mitten in die Öffentlichkeit: Jeder war aufgerufen, auf einem öffentlichen Platz an einem Modell seiner Stadt aus Ton mitzuformen. Dann folgte der Eingriff der organisierenden Künstlergruppe, damals noch unter dem Namen „Modellversuch Künstlerweiterbildung“. Modelle von historischen Gebäuden wurden durch von Egon Eiermann modern verschalte Kaufhausfassaden ersetzt. So kann Kunst als Kommunikationsmittel genutzt und die Kraft ihrer Veranschaulichung wahrgenommen werden.

Knapp 80 Prozent der Archivalien des Projekts sind hier zu sehen

In den 2000er Jahren taucht diese Aktion als Reenactment in einer Halle in Bernau kurz vor deren Loft-Werdung wieder auf. Dazwischen liegt eine lange Entwicklung. Manche frühen Workshops muten heute bezaubernd unbefangen an, wenn etwa Arbeiter in Bielefeld ihre Forderung „Gleiche Arbeit – gleicher Lohn“ in Ton abbilden. Spätestens nach 1989 allerdings verändert sich nicht nur das soziale Standing der Linken, auch die Arbeit des Instituts verändert sich. Ein Projektseminar von Bettina Allamoda zum Berliner „Haus des Lehrers“ legt 2003 mit einem Reader und einer Ausstellung Ergebnisse in akademischer Form vor.

In jener Zeit hatte „Kunst im Kontext“ bereits an Profil eingebüßt. Das räumt auch Claudia Hummel ein, doch sind die ersten 40 Jahre trotzdem eine Erfolgsgeschichte. Seit 2012 ist das Projekt als Teil der Fakultät Bildende Künste an der UdK aufgenommen und damit in den Institutionen angekommen. Immer spiegelte es die historischen Umstände, geprägt wurde es von den beteiligten Personen. Die Ausstellung zum Jubiläum des inzwischen von der zweiten Generation betriebenen Studiengangs wurde nahezu ausschließlich von aktiven oder ehemaligen Institutsangehörigen gestaltet.

Besonders prägend war Katja Jedermann, nicht nur Gründungsmitglied, sondern bis unmittelbar vor ihrem frühen Tod im vergangenen Oktober noch vom Krankenbett aus telefonisch beteiligt. Ihr ist ein kleiner Schrein am Eingang gewidmet. Allen Besuchern in der nGbK bietet sich innerhalb der „40 Jahre Kunst im Kontext“ ganz im Sinne der Instituts die Chance, zu reflektieren, eigenen Erinnerungen nachzuhängen und mit anderen Anekdoten zu teilen. Zurück auf die heutige Oranienstraße ins Kreuzberg von 2019 geht es dann früh genug.

Bis 17. März