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Leo DiCaprio ist eine arme Sau

„Zeiten des Aufruhrs“, am Deutschen Theater inszeniert von Jette Steckel, muss sich nicht nur mit der Roman-Vorlage von Richard Yates, sondern auch mit dem Film samt Kate Winslet messen – das geht nach hinten los

Von René Hamann

Leonardo DiCaprio ist eine arme Sau. Vielleicht nicht unbedingt der Schauspieler selbst, aber auf jeden Fall die Figur des Frank Wheeler, die er in Sam Mendes'’Verfilmung des Romans von Richard Yates, „Zeiten des Aufruhrs – Revolutionary Road“ verkörperte. Frank Wheeler ist verheiratet und Vater von zwei Kindern, er bewohnt ein Haus in einer typischen amerikanischen Vorstadt, und er wird befördert. Doch seine Frau April, die sich die Flucht aus den Verhältnissen ins Sehnsuchtsziel Paris erträumt und von ihm eingefordert hat, wird ein drittes Mal schwanger. Der Film endet wie der Roman: April setzt ihm ein letztes Mal ein Frühstück vor, spielt die liebende Ehefrau als Farce, bevor sie nach seinem Abgang in Richtung Büro eigenhändig eine Abtreibung vornimmt, an der sie schließlich verblutet. Letzte Szene: DiCaprio als Wheeler im Spital, jemand holt ihm einen Kaffee, er blickt leer und geschockt und vielleicht ein kleines bisschen erleichtert ins Nichts.

„Zeiten des Aufruhrs“, wie er etwas mühsam auf deutsch heißt, ist ein Roman aus den sechziger Jahren. Richard Yates dekonstruiert darin den amerikanischen Traum von Suburbia – und zeichnet eine Angestelltenwelt, die nur von Alkohol, Übertritten, Schattenkämpfen und verlorenen Illusionen zusammengehalten wird. A man's world, durchaus. Am fernen Horizont des Romans schimmern die gesellschaftlichen Umwälzungen von 1968 auf; etwas, das den Roman aus heutiger Perspektive interessant macht. Das hat sich vermutlich auch Sam Mendes gedacht, als er ihn 2008 verfilmte und die Hauptrollen mit dem Traumpaar aus „Titanic“ besetzte: DiCaprio und Mendes’ damalige eigene Ehefrau, Kate Winslet.

Jetzt, gute zehn Jahre später, gibt es also das Theaterstück zum Film zum Buch, und die erste Frage ist natürlich: warum? Jette Steckel hat sich des Stoffs angenommen und „Zeiten des Aufruhrs“ am Deutschen Theater inszeniert, am vergangenen Donnerstag war Premiere. Die Bühne von Florian Lösche setzt auf große Buchstaben, die von „Set“ über „Home Sweet Home“ über Buchstabensalat zur „Show“ kommen, es gibt Live-Jazz, der für Stil und Zeitbezug sorgt, es gibt ein flottes Ineinander der Szenen, das einen Film und Roman immer mal wieder vergessen lässt, und es gibt den Auftakt als Stück im Stück: Jette Steckel lässt einerseits eine Art Retrotheater los, um beim erzählten Stoff zu bleiben.

Und andererseits versucht sie einen Dreh ins Jetzt, den man vielleicht als feministischen bezeichnen könnte; nur, dass dieser Dreh leider nach hinten losgeht. Denn ja, dass Frank Wheeler (hier von Alexander Khuon gegeben, der einerseits gewohnt souverän spielt, andererseits mal wieder kurz vor der eigenen Nacktheit agiert) eine arme Sau ist, wusste man ja schon; andererseits, das macht sogar das Stück hier klar, ist er in seinen ausgestellten Schwächen nicht nur toxisch männlich, sondern durchaus menschlich. Der Gegenpart, den Kate Winslet wesentlich vielschichtiger anlegt, und der hier bei Steckel, dargestellt durch Maren Eggert, die feministische Seite der Geschichte darstellen soll, kommt aber leider nicht im Entferntesten besser weg, und es ist anzunehmen, dass das keine Absicht war, sondern schlicht unterlaufen ist.

Eggerts Figur nämlich wirkt launisch, wankelmütig, ungreifbar, unbegreiflich. Mal singt sie ihrem Mann ein Liebesständchen (durchaus ergreifend: „Sea of Love“), dann macht sie ihm wieder die Hölle heiß. Der Seitensprung mit Shep Campbell (der deutsche Philip Seymour Hoffman sozusagen: Christoph Franken) geschieht nicht nur aus Verzweiflung, sondern erscheint plötzlich als kleinliche Rache; ihr ganzer Charakter, gegen den Wheeler/Khuon plötzlich als reine Verkörperung des Realitätsprinzips dasteht, kommt nicht nur als verträumt-naiv, sondern als narzisstisch und renitent rüber. Eggert selbst versucht dabei genauso ihr Bestes wie ihr Gegenüber Khuon. Doch die beiden Hauptfiguren und die Konflikte, die sie austragen, sind irgendwie schief, um nicht zu sagen: falsch angelegt.

Die angestrebte Parteinahme, die Identifikation mit der leidenden Frauenfigur, funktioniert so nicht. Und: Yates und Mendes vermochten es, die Konflikte einer Ehe immer auch als Symptome gesellschaftlicher Umstände zu zeigen, Steckel gelingt das nicht. So kippen plötzlich auch andere Elemente dieser Inszenierung ins Negative: der Jazz, die Kinder, die von zwei Jungs im selben Alter gegeben werden, die Techno-Tanzeinlage, die Gegenwartsbezug herstellen soll. Ein eher verschenkter Theaterabend.

Wieder am 6., 8. und 30. März

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