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Archiv-Artikel

Bürgerliche Bewegung

Wenn die Grünen als politisch Handelnde ernst genommen werden wollen, müssen sie eine Alternative zu Schwarz-Gelb oder Schwarz-Rot bieten: eine Koalition mit der Union

Die Voraussetzungen für eine machtpolitische Allianz von Merkel und Künast sind gar nicht so schlecht

Was machen eigentlich die „Grünen“? Die Republik erregt sich über Stoiber oder Lafontaine, mutmaßt über Kirchhof. Doch niemand redet von Trittin oder Künast, rätselt über Fischer. Die Journaille spekuliert über künftige Regierungskoalitionen – Schwarz-Gelb oder Schwarz-Rot. Und die Grünen bleiben durchweg außen vor. Ihnen fehlt derzeit jede Machtperspektive. Sie haben sich zu lange dogmatisch an Rot-Grün geklammert – und in dieser Bündniskonstellation allen Regierungseinfluss in Deutschland verloren. Auf die Anhänger der Grünen wirkt dies erkennbar entmutigend.

Es ist schon merkwürdig, wie fatalistisch sich die Grünen in diesen Bedeutungsverlust schicken. Und es verwundert, dass nicht zumindest zwei oder drei Strategen aus der Post-Fischer-Generation die Alternative zu einer Großen Koalition oder Schwarz-Gelb ins Spiel bringen: Schwarz-Grün. Schließlich hat diese Farbkombination besonders die Virtuosen politischer Beweglichkeit in den letzten Jahren immer wieder fasziniert.

Nur: Gerade in Deutschland wird aufgrund des Dogmatismus der korrekten Lager und homogenen politischen Richtungen oft übersehen oder gar geächtet, dass das artistische Spiel mit den vielen koalitionspolitischen Bällen Herz und Seele eines lebendigen Parlamentarismus ausmachen. Es gehört zu den unabdingbaren Qualitäten eines zupackenden Politikers, von Fall zu Fall Freund und Feind gleichermaßen durch überraschende Rochaden zu konsternieren, fest zementierte Lager aufzumischen, jäh eine neue Konstellation herzustellen. Der langjährige SPD-Stratege Herbert Wehner war ein Meister dieses Spiels.

Natürlich: Zu weit dürfen Politiker die koalitionspolitischen Wendigkeiten nie treiben. Das Publikum schätzt es mehrheitlich nicht, wenn politische Allianzen allein der Taktik wegen geschmiedet werden. Deshalb müssen auch die harten und kühlen Strategen des Partnerwechsels hin und wieder, camouflierend mit „Werten“, „gemeinsamen Grundüberzeugungen“, „programmatischen Annäherungen“, ihre rhetorischen Girlanden winden. Dafür liegen bewährte Versatzstücke für Schwarz-Grün reichlich bereit: u. a. Bewahrung der Schöpfung, Dezentralität, Sparsamkeit, intakte Heimat, gesunde Umwelt.

Zudem spricht aus generations- und mentalitätsgeschichtlicher Perspektive einiges für eine zumindest mittelfristige schwarz-grüne Fraternisierung. Schließlich sind die hochemotionalen innerbürgerlichen Auseinandersetzungen, die die Generationen innerhalb der bundesdeutschen Elite seit den Dutschke-Jahren gespalten hatten, weitgehend beigelegt. Die unversöhnlich antisozialistischen Frontmänner der alten CDU sind im Ruhestand und die Grünen mittlerweile älter, arrivierter, etablierter. Aus den Studenten der Soziologie, Schlabberlookträgern, militanten Atomkraftgegnern und Straßenkämpfern sind mittelalte Studiendirektoren und Eltern pubertierender Kinder geworden, überdies Liebhaber edler Rotweine und teurer Fernreisen – honorige Bildungsbürger mithin, die während der abendlichen Entspannungsstunden auf der Ledercouch die Rolling Stones und Neil Young ebenso hören wie Henryk Mikolaj Górecki und Franz Schubert. Im bürgerlichen Habitus sind sie einander oft ähnlicher als Grüne und Sozialdemokraten, da Letztere die Stilunsicherheit sozialer Aufsteiger vielfach nicht ablegen können.

Im Grunde dürfen die Grünen, wenn sie als politisches Handlungssubjekt ernst genommen werden wollen, nicht einfach stumm und passiv zuschauen, wie allein die beiden Volksparteien zielstrebig miteinander agieren. Sicher: Einfach würde es für die Grünen in einer solchen Situation nicht. Allzu hurtig, wendig und begründungslos können kleine Parteien den politischen Partnerwechsel nun mal nicht vollziehen. Sie gelten dann als prinzipienlos, opportunistisch, machtversessen, was nach wie vor in der Wählerschaft übel beleumdet ist. Den Freien Demokraten jedenfalls haben ihre Regierungswechsel 1969 und 1982 bittere Probleme bereitet, unter denen sie noch heute leiden: Sie verloren beide Male große Teile ihrer Wählerschaft, ihrer Mitglieder und Funktionäre. Die bundesdeutsche Gesellschaft in jenen Jahren war eben noch ideologisch durchdrungen.

Heute dagegen könnte Schwarz-Grün von der Auflösung der klassischen Weltanschauungen und Milieus profitieren. Ein Koalitionswechsel dürfte nicht mehr als unverzeihlicher politischer Verrat gelten. Doch ganz so sicher ist das nicht. Nach wie vor definiert sich der größere Teil auch der soziologisch verbürgerlichten Grünen-Anhängerschaft als links; das Gros davon siedelt sich im Grenzbereich zwischen Sozialdemokratie und Bündnisgrünen an. Ein Viertel der heutigen Grünen-Wähler würde es nicht einmal ausschließen, zur Partei links von der SPD zu wechseln.

Auch CDU-Strategen haben Sorge, dass eine Allianz mit den Grünen die Kampagnenfähigkeit ihres Aktivistenkerns paralysiert. Parteien brauchen für die politische Aktion zumindest Reste von historisch gewachsenen und dadurch konstanten Identitäten. Identitäten aber leben vom Gegenüber, vom Anderen, von dem man sich abgrenzt. Nehmen Christdemokraten und Grüne ihrer Kernklientel dieses Gegenüber, dann schwächen sie die eigene Mobilisierungskraft.

Im bürgerlichen Habitus sind sich Grüne und Schwarze oft ähnlicher als Grüne und Sozialdemokraten

Schon deshalb finden schwarz-grüne Techtelmechteleien kaum in der Öffentlichkeit statt. Das Credo der subkutanen schwarz-grünen Bündnisstrategen lautet seit Jahren: Eine solche Regierung macht man, aber man spricht nicht laut davon. Ein schwarz-grünes Projekt, ausgestattet mit programmatischer und historischer Dimension, gehörte nie zum Ehrgeiz derjenigen, die eine Allianz von CDU und Grünen anstrebten und anstreben.

Die Voraussetzungen für eine prosaisch machtpolitische Allianz von Merkel und Künast – ob man es nun mag oder nicht– sind jedenfalls gar nicht so schlecht. Beide Parteien verfügen im krassen Unterschied zu FDP und SPD über eine Fülle von Begabungen in der politisch wichtigen Altersgruppe der 40- bis 55-Jährigen. Und im Bundeskabinett spielen die kulturellen Differenzen, die in der Schul-, Bildungs- und Betreuungspolitik die innerbürgerlichen Milieus und Kohorten weiterhin trennen, keine konstitutive Rolle; das alles ist im Kern Länder- oder Kommunalangelegenheit.

In Fragen der Deregulierung von Arbeitsmärkten, einer Revision des Steuersystems, auch einer haushälterischen Konsolidierungspolitik unter dem Rubrum der „Nachhaltigkeit“ können Christdemokraten und Grüne wahrscheinlich rasch zu einem Arrangement kommen. Und: Nach fast 40 Jahren kulturell aufgeladener Generationskonflikte würde das deutsche Bürgertum zu einem Kompromiss mit sich selbst finden. Auch wenn es im September 2005 noch nicht dazu kommen wird: Die Republik, das Parteiensystem, die Koalitionsstrukturen – all das gerät allmählich in Bewegung. FRANZ WALTER