: Kriegsmaschinen, fahrt zur Hölle
Günter Schickert war viele Jahrzehnte lang eine nur Insidern bekannte Krautrocklegende. Jetzt wird er wiederentdeckt. Mit Andreas Spechtl hat er ein neues Album aufgenommen
Von Andreas Hartmann
Direkt am Eingang eines Kreuzberger Friedhofs hat Günter Schickert sein Atelier. Er will nicht, dass man schreibt, auf welchem Friedhof genau man ihn antrifft – „sonst kommen die hier alle vorbei“. Das, was er sein Atelier nennt, ist ein Häuschen mit Garten, das er sich mit einem gewissen Jean teilt, der laut Schickert ein Philosoph ist. Drinnen erwartet einen Schickerts Zauberreich.
In einem Zimmer stehen diverse Instrumente herum und eine Stereoanlage. Das ist sein Musik- und Musikhörzimmer. In einem Regal stapeln sich CDs seines vor sechs Jahren wiederaufgelegten Albums „Samtvogel“, das 1974 entstanden ist. Er drückt einem gleich eine der CDs in die Hand – „geschenkt“. 200 Stück hat er von dem amerikanischen Label bekommen, das die Neuauflage verantwortet hat, das sei seine „Bezahlung“ gewesen.
In einer Schale liegen ein paar ganz spezielle Instrumente: Schneckenhörner. Den Gehäusen von Meeresschnecken wird für diese die Spitze abgesägt, durch die Öffnung bläst man wie in eine Trompete. Schickert hält eines seiner Hörner in Richtung der Tastatur eines Klaviers, das in seinem Musikzimmer mit untergebracht ist – wegen des Halls. Er bläst in das Gehäuse und ein lautes Dröhnen erfüllt den Raum. Auf seinem neuen Album mit dem Titel „Nachtfalter“ kommt das Instrument mehrfach zum Einsatz.
Im Flur hängen zig seiner Zeichnungen, unter anderem diejenige, die das Cover von „Samtvogel“ schmückt. Bunte Gemälde, mit Filzstiften gezeichnet, in der Tradition psychedelischer Kunst. Sein zweites Zimmer sieht aus wie eine Räuberhöhle. Alles ist vollgestellt mit Kram. Eierbecher, DVDs, seltsame Masken, eine Discokugel, „Star Wars“-Nippes verteilt sich über den ganzen Raum. Der Boden ist gepflastert mit Effektgeräten für die Gitarren, die da auch noch herumstehen. Und die für den speziellen, halligen und sphärischen Schickert-Sound sorgen.
Tag und Nacht seien die Apparaturen in Betrieb, sagt er. Um immer, wenn ihm danach ist, mal kurz mit sich selbst jammen zu können. Er greift in die Saiten einer der Gitarren. Es macht Pling und mit einiger Verzögerung hallen aus den Verstärkerboxen noch ein paar Pling-Plings hinterher. Ungefähr mit dem Equipment hat er schon vor 45 Jahren „Samtvogel“ eingespielt, diese legendäre, viele Jahre lang eher vergessene Obskurität des Krautrock.
Der damals 25-jährige Schickert hat die Platte allein in seinem Wohnzimmer eingespielt. Aufgenommen wurde sie mit einem einfachen Tape-Recorder und dann als Privatpressung veröffentlicht. Auf der CD der Wiederveröffentlichung ist, wie beim Original, die Kontaktadresse von damals mit abgedruckt: In der Mittenwalder Straße 8 hat Schickert zu der Zeit gewohnt. 500 Exemplare von „Samtvogel“ wurden gepresst, heute sind die Platten gesuchte Sammlerstücke. „Mir wurde selbst mal eine angeboten“, sagt Schickert. „Für 150 Euro. Verrückt.“
Das zu der Zeit maßgebliche Label für Krautrock, Brain, hat das Debüt von Schickert dann noch einmal herausgebracht. Ein Verkaufsschlager wurde das Album freilich nicht.
Ende der Siebziger veröffentlichte er noch eine weitere Platte, auch die war kein großer Erfolg, und Schickert wurde zur Randfigur des Krautrock, die selbst von Kennern des Genres eher übersehen wurde. „Als plötzlich die Anfragen kamen, meine Platten wiederveröffentlichen zu wollen, konnte ich mich selbst kaum noch an diese erinnern“, sagt Schickert.
Er ist 69 Jahre alt, im April wird er 70. Und er erlebt jetzt ein Revival und seinen zweiten Frühling als Musiker. Mit diversen Projekten hat er in den letzten Jahren wieder Platten veröffentlicht, etwa mit Schneider TM und Jochen Arbeit von den Einstürzenden Neubauten. Im letzten Jahr kam eine weitere Soloplatte heraus und jetzt eben „Nachtfalter“. Eingespielt hat er sie zusammen mit Andreas Spechtl von der Band Ja, Panik!.
Spechtl hat gerade als Teil der Band Die Türen ein verqueres Krautrock-Album veröffentlicht, er kennt sich aus im Soundkosmos von Schickert. Ihr gemeinsames Label hat die beiden zusammengebracht, sie kannten sich vorher nicht. „Zwei Tage lang haben wir uns in Andreas’ Studio eingeschlossen und in einem Rutsch die Platte eingespielt“, so Schickert. „Mein bestes Werk bisher“, sagt er, „ich höre es mir selbst andauernd an.“
Das Album ist kein Nostalgietrip geworden. Schickerts Echo-Gitarre wird bei dem Instrumental-Album von eher derben Sounds und Spechtls Drumming umspielt, das Ganze geht schon fast in Richtung Industrial. Ideen habe er vor den Aufnahmen eigentlich gar keine gehabt, so Schickert. Die Dinge entwickelten sich bei ihm erst im Moment des Spielens und Tüftelns, das sei bei „Samtvogel“ auch schon so gewesen.
Live sei das ähnlich. Er tritt ja jetzt auch wieder auf. Im März und im April wird er zwei Konzerte in Berlin geben. „Ich mach mir vor diesen überhaupt keinen Kopf“ sagt er, „irgendwas wird schon passieren.“ Sein Label hat ihm mitgeteilt, auch im Ausland könne etwas passieren, vor allem in England, wo das Interesse für alte Krautrockhelden schon immer groß war. Eventuell würde dort eine Tour zustande kommen. Die Wertschätzung für seine Musik kommt spät, aber immerhin kommt sie.
All die Jahre und Jahrzehnte, die er als Mysterium des Krautrock verbrachte, verdingte er sich in allerlei Jobs. Eigentlich hatte er Versicherungskaufmann gelernt, das war aber schnell nichts für ihn. Dann war er kurze Zeit lang Sozialarbeiter – „dafür musste ich aber immer viel zu früh aufstehen“. Dann arbeitete er mal hier, mal dort, in unterschiedlichen Gelegenheitsjobs. „Mir war immer egal, wo das Geld herkam“, sagt er, „wichtig war nur, dass etwas reinkam.“
Manchmal lebte er auch einfach nur von der Stütze und heute, so sagt er, bekomme er eine Grundsicherung und sei „bettelarm“. Als Musiker trat er in all den Jahren auch ständig auf, doch nicht als Krautrocker, sondern als Barocktrompeter in der Kirche, regelmäßig in der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche. Bis vor zwei Jahren blies er dort bei Sonntagsgottesdiensten in sein Horn, „aber ab 60 wird man einfach ein schlechterer Trompeter“, weswegen er das mit den Kirchenauftritten inzwischen lässt. Er sei nicht gläubig, sagt er, aber die Barockmusik bedeutete ihm sehr viel und auch als Gitarrist sei er „geprägt vom Barock“.
Ein wenig eigenbrötlerisch ist er sicherlich. Eben erst habe er sich von seiner Freundin getrennt und er würde schon sehr viel fernsehen. Skispringen, Tierfilme, was halt so läuft. Und er redet sehr viel und springt dabei von einem zum anderen. Er spricht von den Indianern und wie diese so gut wie ausgelöscht wurden, dann von Trump, dann vom Dieselskandal. Es sei „unglaublich, was auf der Welt passiert“, und es müsse wieder mehr um „Liebe, Nächstenliebe und um Freiheit gehen“.
Er bezeichnet sich selbst als politischen Künstler, zeigt auf die „Samtvogel“-CD. Das zweite Stück hat den Titel „Kriegsmaschinen, fahrt zur Hölle“. Seine politische Haltung habe ihm als Künstler immer im Weg gestanden, glaubt er, „und sie steht mir immer noch im Weg“.
All das Elend um ihn herum würde ihn so sehr bewegen, dass er gelegentlich einfach anfangen würde zu weinen, gesteht er. Und irgendwann passiert es tatsächlich: Trumps Mauer, die Berliner Mauer, in deren Schatten er als Berliner aufgewachsen sei, und da kommen ihm auch schon die Tränen.
Schickert ist Empathiker, keine Frage. Das erklärt auch den Titel seines neuen Albums. Ein Nachtfalter sei während des Aufnahmeprozesses bei ihm ins Atelier geflogen. Am nächsten Tag war er tot. „Der Nachtfalter ist zu mir gekommen, um zu sterben“, so Schickert. Nun schmückt der Schmetterling wenigstens das Cover seiner Platte und bekommt in gewisser Weise ein zweites Leben.
Günter Schickert: „Nachtfalter“ (Bureau B/Indigo)
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