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Auf der Suche nach einer Moderne

Einen programmatischen Beitrag zur Architektur der Moderne findet man in Niedersachsen und vor allem in Hannover im Bauhaus-Jubeljahr kaum. Nun hat sich die Bauforscherin Birte Rogacki-Thiemann in einem Buch mit einem Architekten der Vormoderne beschäftigt: Emil Lorenz’ Bauten aber sind abgerissen oder zur Unkenntlichkeit entstellt. Und seinen spektakulärsten Entwurf konnte er nicht bauen

Von Bettina Maria Brosowsky

Glückliches Niedersachsen. Gerade ist in Berlin mit großem Tamtam das 100-jährige Jubiläum des Bauhauses eingeläutet worden, jener Reformschule und „Werkstatt der Moderne“, wie sie der Münchner Architekturhistoriker Winfried Nerdinger bezeichnet, die 1919 in Weimar gegründet wurde. Aus politischen Gründen musste das Bauhaus 1924/25 ins fortschrittlichere Dessau umziehen und löste sich 1933, nach einen privaten Restbetrieb in Berlin, selbst auf, um so Zwangsmaßnahmen des NS-Regimes zuvorzukommen. Die ultimative Präqualifikation des Bauhausgründers und Architekten Walter Gropius (1883–1969) allerdings kann Alfeld an der Leine für sich verbuchen: Die ab 1911 errichteten Fagus-Werke zählen seit 2011 sogar zum UNESCO-Weltkulturerbe.

Der Berliner Gropius war auch sonst dem Norden nicht abgeneigt. Er absolvierte 1904 eine einjährige Militärausbildung bei der Eliteeinheit der Wandsbeker Husaren in Hamburg, und er lernte 1923 im Dunstkreis Alexander Dorners, Leiter des Provinzialmuseums Hannover, Ilse Frank, seine zweite Ehefrau, kennen. Auf Wunsch des Gatten modifizierte sie ihren Vornamen dann zu Ise, so war es progressiver.

Auf einer „Grand Tour der Moderne“ sollen Architekturbegeisterte im Bauhaus-Jubeljahr jetzt bundesweit bedeutende Gebäude, die nach 1900 erbaut wurden, in Augenschein nehmen. Da allerdings schwächelt dann Niedersachsen, denn neben dem Gropius-Bau und den asketischen Wohnzeilen Otto Haeslers in Celle gilt besonders für die Landeshauptstadt Hannover: kein programmatischer Beitrag zur Architektur der Moderne.

Urteutonischer Widerstand

Dies bemerkten schon Kritiker im frühen 20. Jahrhundert, registrierten hier einen „Urteutonismus“ aus Fachwerk, schematischen Backsteinbauten, romanischen Domen sowie urdeutschen Rathäusern in der Umgebung. „Konservativer Widerstand und impulsives Vorwärtsstoßen stören zu gleichem Maß die Entwicklung“, resümierte 1911 der Berliner Publizist Robert Breuer. Die Stadt, zudem im Schatten der Reichsmetropole, könne sich nicht zu einem Spezifikum entwickeln.

Dieses herbe Urteil hielt die promovierte Hannoveraner Bauforscherin Birte Rogacki-Thiemann nicht davon ab, sich mit einem eher unbekannten Architekten einer, wenn man so will, Vormoderne zu befassen: Emil Lorenz. 1857 in Zwickau geboren, absolvierte Lorenz ein Architekturstudium in Dresden, ist ab 1886 in Hannover nachweisbar und führte spätestens seit 1895 ein florierendes Architekturbüro in prominenter Innenstadtlage.

„Emil Lorenz hat das Stadtbild Hannovers zwischen etwa 1890 und 1944 mitgeprägt“, so Rogacki-Thiemann, „und er hat sich dabei erstaunlich entwickelt. Zu Beginn historistisch, arbeitete er in den 1920er-Jahren expressionistisch, hatte zuvor Ideen der Neuen Sachlichkeit im Sinne einer Reformarchitektur verfolgt.“ Insgesamt haben ihre Forschungen, die von den Enkeln Lorenz’ auch finanziell unterstützt wurden und nun als Buch erscheinen, 85 sicher zuzuordnende Bauwerke, zumeist im Raum Hannover, identifiziert sowie 13 nicht verwirklichte (Wettbewerbs-)Entwürfe, etwa für den Leipziger Hauptbahnhof.

Erstaunlich findet Rogacki-Thiemann, dass Lorenz, abgesehen von einigen projektbezogenen Arbeitsgemeinschaften, sein Büro anscheinend allein betrieb: Er entwarf, er zeichnete und er überwachte die Bauausführung. Lorenz war gut vernetzt in die hannoversche Gesellschaftselite. So gehörten Stadtdirektor Heinrich Tramm, Verleger August Madsack, der Direktor der Pelikanwerke, Fritz Beindorff, zu seinen Auftraggebern und sogar der Generalfeldmarschall und spätere Reichspräsident Paul von Hindenburg.

Der aktuell am prominentesten genutzte Lorenz-Bau ist die seit 1946 der Landesregierung als Gästehaus dienende ehemalige Villa des Heizungsfabrikanten Fritz Kaeferle. 1899 im neu erschlossenen Tiergarten-, heute Zooviertel, Teil einer Villenkolonie, zeigt sie eindrucksvolle Renaissanceformen und im Inneren eine edle Ausstattung. Einen Steinwurf entfernt liegen weitere Lorenz-Villen, nun in anklingend moderner Haltung eines Landhausstils: die ab 1912 erbaute Villa Tramm. Sie hatte auch die private Kunstsammlung des mächtigen Stadtdirektors aufzunehmen. Heute ist sie, recht pfleglich behandelt, Geschäftsstelle des Steuerberaterverbandes Niedersachsen und Sachsen-Anhalt. Anders eine 1907 errichtete und 1919 für den Ehrenbürger Paul von Hindenburg eigentlich als Alterssitz umgebaute Immobilie: durch ein weiteres Geschoss und die mächtige neue Dachkonstruktion bis zur Unkenntlichkeit entstellt.

Umgebaut und abgerissen

Neben Totalverlusten im zweiten Weltkrieg und unsensiblen Umbauten reduzieren weiterhin Abrisse das verbliebene Werk von Emil Lorenz. 2014 ereilte es zuletzt sein ehemaliges Bank- und Verwaltungsgebäude unweit der Oper. Aber auch während seines aktiven Schaffens musste Lorenz einiges einstecken, konnte vor allem sein spektakulärstes Bauwerk nicht realisieren. 1925 hatte ihn der Verleger August Madsack mit dem Entwurf eines Zeitungshauses beauftragt, Madsack verlangte ein repräsentatives Hochhaus in der Sichtachse der heutigen Kurt-Schumacher-Straße.

Lorenz konzipierte einen Stahlbetonbau mit expressiv plastischer Fassade aus rotem Klinkermauerwerk, empfahl als Bekrönung ein Planetarium unter kupfergedeckter Kuppel. Der 1926 in Zeichnungen, Modell und Fassadenstudien vorgelegte Entwurf fand die Zustimmung der Behörden – und kommt einem sehr vertraut vor, denn dergestalt steht ja das Anzeiger-Hochhaus an der Goseriede.

Doch Madsack entschied, besser einen 20 Jahre jüngeren und zudem prominenteren Architekten zum Zuge kommen zu lassen: Fritz Höger aus Hamburg. Er hatte sich gerade mit dem Chilehaus empfohlen. Offensichtlich recht geschmeidig eignete sich Höger den fremden Entwurf an. Wohl ahnend, dass er nicht mit der Ausführung betraut wird, hatte Emil Lorenz ihn zuvor noch publiziert.

Unglückliches Niedersachsen, denn so haftet einem Gebäude, das ansonsten ganz stimmig mit seinem Hamburger Pendant in die diesjährige „Grand Tour“ des Bauhauses gepasst hätte, der ungute Beigeschmack einer möglichen Urheberrechtsverletzung an. Fritz Höger indes wusste sein Glück zu schmieden, baute in Hannover noch Madsacks Villa und gestaltete das Grabmal der Familie.

Birte Rogacki-Thiemann: „Wir verändern uns, aber wir vergehen nicht“ – Die Bauten des Architekten Emil Lorenz (1857–1944), Wehrhahn-Verlag Hannover 2019, 336 S., 28 Euro

Buchvorstellung mit Birte Rogacki-Thiemann: Di, 5. Februar, 11 Uhr, Stadtarchiv Hannover

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