: Reformkraft oder Verräterpartei?
Groß war der Jubel 2015 über den Wahlsieg von Syriza, rapide die Ernüchterung. Gilt Griechenland als Schaufenster für die europäische Linke?
Von Anja Krüger und Pascal Beucker
Blickt Giorgos Chondros darauf zurück, was in und mit Griechenland seit dem Wahlsieg von Syriza Anfang 2015 geschehen ist, zitiert der Mitgründer des Linksbündnisses gerne den antiken Historiker Thukydides. In dessen Werk über den Peloponnesischen Krieg findet sich der legendäre „Melierdialog“. Darin versuchen die Unterhändler der Hegemonialmacht Athen die Ratsherren der unabhängigen Kykladeninsel Melos von einer freiwilligen Unterwerfung zu überzeugen.
Doch die Melier wollen sich nicht unterwerfen: „Für uns bedeutet Zurückweichen sofortige Hoffnungslosigkeit.“ Und sie warnen die Athener: „Damit stärkt ihr doch nur eure bisherigen Feinde. Und die, die es nie werden wollten, treibt ihr dazu, es gegen ihren Willen zu werden.“ Doch egal welches gute Argument die Melier auch vorbringen, die Athener geben sich unnachgiebig. Für sie allein zählt Macht. Was bleibt in einer solchen Situation?
Vor dieser Frage stand aus Chondros’ Sicht die Syriza-Regierung bei ihren Verhandlungen mit der Eurogruppe Mitte Juli 2015. Ob ihre Antwort die richtige war, entzweit bis heute die Linke in Europa. Nur eine Woche nach dem eindrucksvollen Oxi-Votum der griechischen Bevölkerung beugte sich Ministerpräsident Alexis Tsipras dem EU-Spardiktat. Die Melier entschieden sich im Jahr 416 vor unserer Zeitrechnung anders – und wurden militärisch vernichtet.
Verlorene Hoffnungen
Wie groß war der europaweite linke Jubel nach dem Wahlsieg von Syriza im Januar 2015! Was wurde nicht, gerade in Deutschland, an verwegenen Erwartungen auf Tsipras und seinen Finanzminister Yanis Varoufakis projiziert, die es wagten, auf Konfrontationskurs zur ganzen Eurogruppe zu gehen. Und wie schnell war es mit den wortreichen Solidaritätsbekundungen vorbei, als sich der griechische David dem europäischen Goliath fügen musste. Die deutsche Linke verlor das Interesse an Griechenland – bis auf wenige Ausnahmen wie die streitbare Sozialdemokratin Gesine Schwan.
Im August 2017 hat Griechenland den sogenannten Euro-Rettungsschirm verlassen. Aber das Land steht weiter unter strikter Aufsicht der Geldgeber. Das Schuldendesaster und die von europäischen Gläubigern diktierten Kürzungsprogramme im Gegenzug für drei Kreditpakete haben Griechenland in eine Krise gestürzt, die bis heute nicht bewältigt ist.
Die Syriza-Regierung von Tsipras amtiert zwar immer noch. In den Umfragen liegt sie bei um die 25 Prozent – immer noch deutlich vor jeder anderen Partei links der Sozialdemokratie in Europa. Doch die Hoffnungen, die viele mit dem Amtsantritt Tsipras’ verbanden, sind verloren gegangen. Varoufakis gehört heute zu einem seiner schärfsten Kritiker. Bei der Europawahl im Mai und der griechischen Parlamentswahl, ebenfalls in diesem Jahr, tritt er mit einer von ihm gegründeten Konkurrenzpartei an.
„Wir waren überzeugt davon, dass sich um Syriza eine starke europäische Linke aufbauen würde, die mehr bewegt, als sie bisher bewegen konnte“, resümiert Syriza-Mann Giorgos Chondros. „Danach sieht es momentan leider nicht aus.“
Auf dem taz lab sprechen Gesine Schwan, Giorgos Chondros und der live aus Lesbos zugeschaltete Yanis Varoufakis über Niederlagen und die Zukunft Griechenlands.
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