: Deutschland schiebt so viele ab wie nie
8.658 Asylbewerber wurden zwischen Januar und November 2018 in andere EU-Staaten überstellt – vor allem nach Italien. Dort wehrt sich Innenminister Salvini
Von Christian Jakob
Trotz stark rückläufiger Asylzahlen hat Deutschland 2018 mehr Menschen in andere EU-Staaten abgeschoben als je zuvor. Von Januar bis November schob die Bundespolizei insgesamt 8.658 Menschen per sogenannten Überstellungen nach der Dublin-Richtlinie der EU ab. Im gesamten Jahr 2017 gab es 7.102 Überstellungen. Das geht aus einer Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der Linken hervor.
Deutschland machte von diesem Recht vor allem gegenüber Italien Gebrauch. Fast jede dritte (2.707) Überstellung ging dorthin. Mit weitem Abstand folgten Frankreich (685), Polen (667) und Schweden (625). Betroffen waren vor allem Asylsuchende aus dem Irak (977) sowie Afghanistan, Russland, Nigeria, Iran, Syrien und Somalia. Deutschland schob jeweils zwischen 520 und 650 Menschen aus diesen Ländern in andere EU-Staaten ab.
Insgesamt dürfte damit die Zahl der Abschiebungen innerhalb Europas fast so hoch liegen wie jene in die Herkunftsländer außerhalb der EU. Für letztere liegt bislang nur die Zahl für das erste Halbjahr vor (6.616) – innerhalb der EU waren es im selben Zeitraum 5.604.
2018 ging es in jedem dritten Asylverfahren des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge um einen sogenannten Dublin-Fall, bei dem geprüft wird, ob ein anderes Land für den Asylbewerber zuständig ist. Insgesamt hat das Bundesamt in den ersten elf Monaten des Jahres 2018 etwa 51.500-mal andere EU-Staaten um Übernahme von nach Deutschland geflohenen Menschen ersucht. In 35.375 Fällen hätten die angefragten Staaten zugestimmt. Die Quote der dann tatsächlich überstellten Personen stieg von 15 (2017) auf 25 Prozent.
Im Juni 2018 hatte der Lega-Anführer Matteo Salvini sein Amt als Innenminister von Italien angetreten. Er hatte angekündigt, Abschiebeflüge in das Land zu blockieren. „Wenn jemand in Berlin oder Brüssel vorhat, Dutzende von Migranten mit nicht autorisierten Charterflügen abzuladen, sollte er wissen, dass kein Flughafen verfügbar ist und sein wird“, sagte Salvini im Oktober. „Wir schließen die Flughäfen, wie wir bereits die Häfen geschlossen haben.“ Tatsächlich vermochte er die Zahl der Dublin-Abschiebungen nach Italien keineswegs vollständig zu drücken: Im ersten Quartal 2018, also vor Salvinis Amtsantritt, schob Deutschland 1.692 Menschen nach Italien ab, in den folgenden fünf Monaten immerhin noch 1.015.
Italien war in den Jahren 2016 und 2017 das Hauptankunftsland für Flüchtlinge in Europa. Wegen der Dublin-Richtlinie musste sich das Land in der Regel alleine um die Aufnahme und Versorgung der Menschen kümmern. Die Regierung hatte deswegen immer wieder eine Reform der Regelung verlangt, der Rest der EU lehnt dies jedoch ab – bis heute. Nach seinem Amtsantritt blockierte Salvini die Häfen für Flüchtlingsschiffe (siehe Text oben). Die Regierung fordert weitgehende Änderungen des Dublin-Mechanismus. Vor allem die osteuropäischen Staaten lehnen dies vehement ab.
Überstellungen in die Außengrenzen-Staaten Bulgarien und Griechenland scheiterten – anders als jene nach Italien – oft an Gerichten. Diese untersagten in fast jedem zweiten Fall eine Überstellung nach Griechenland, nach Bulgarien sogar in fast zwei Drittel aller Fälle, etwa wegen unzureichender Aufnahmebedingungen oder drohender Kettenabschiebungen. Nach Ungarn gibt es seit Mai 2017 gar keine Überstellungen mehr.
„Es ist keine Erfolgsmeldung, dass die ‚Effizienz‘ des Dublin-Systems zuletzt deutlich gesteigert wurde“, sagte die Linken-Abgeordnete Ulla Jelpke. Für Schutzsuchende sei das gewaltsame Hin- und Herschieben innerhalb der EU „zumeist eine Katastrophe“. Es gebe zunehmende Berichte über „unerträgliche Härten in der Vollzugspraxis“.
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