: Auslandsroboter statt echter Korrespondenten?
FERNSEHEN Experten bemängeln „Konzeptlosigkeit“
Ulrich Tilgner ist nicht zu stoppen. Mutig schlägt er sich durch Iran, Irak und Afghanistan, von 1982 an mit orangefarbenem Mikrofon in der Tasche. Dem deutschen Fernsehen, auch dem ZDF, kehrte Tilgner vor einem Jahr weitgehend den Rücken, um für das Schweizer TV zu arbeiten, weil das unabhängiger sei. Eine Entscheidung, die viele im ZDF gutheißen, für das der Mann einst das Studio in Teheran aufzog. Tilgner hält sich nämlich seit Jahren nicht zurück, wenn es darum geht, die Arbeit der Sender im Ausland zu kritisieren.
Jetzt hat Tilgner wieder zugelangt. Im Fachblatt message schreibt er: „Militärs sind stolz, wenn es ihnen gelingt, ohne Soldaten Krieg zu führen. Vergleichbar groß wäre sicher die Freude in vielen Redaktionen, wenn sie ihre Korrespondenten vor Ort durch Roboter ersetzen könnten.“ Die Rede ist von Inszenierung und einem Informationsvorsprung in den Redaktionen, die ihre Reporter auffordern, „für ihre Beiträge bestimmte Aufnahmen zu nutzen oder bestimmte Fakten darzulegen“.
Tilgner spricht von einem Anpassungsdruck, bei dem „in Stresssituationen nicht mehr das Überprüfen oder Gewinnen von Erkenntnissen im Zentrum der Arbeit steht, sondern das Verbreiten vorgegebener Informationen“. Eine Erkenntnis, die Jörg Armbruster aus der Arbeit als ARD-Reporter in Tel Aviv bestätigte – 2008, versteckt in einem Essay. Er notierte, wie ihn ein „Tagesschau“-Redakteur aus dem Bett klingelte, von einer Explosion berichtete und um eine Schalte bat. „Mein Einwand, ich müsse mich erst einmal informieren, zählte nur wenig. Armbrusters Bericht sorgte intern für Empörung, hängen die Sender doch am Bild von den tüchtigen, recherchierenden Journalisten.
Armbruster, heute SWR-Auslandschef, beschwichtigte in einem gängigen Reflex: In Leserbriefen war nur noch von einem Einzelfall die Rede. Andere erzählen jedoch ganz ähnliche, ebenso konkrete Geschichten. Um sich vor Sanktionen zu schützen, tun sie das aber hinter vorgehaltener Hand. Dann bemängeln sie auch, immer mehr Arbeit an lokale Hilfskräfte, sogenannte Stringer, delegieren zu müssen. Darunter leide mitunter die Quellensicherheit ebenso wie die Objektivität.
Diese Kritiker bekommen nun Unterstützung aus der Wissenschaft. Gerade hat Lutz Mükke seine 557 Seiten starke Doktorarbeit veröffentlicht. Für die Studie „Journalisten der Finsternis“ sprach der Journalistik-Experte mit 40 Afrika-Reportern und deren Zuarbeitern. Sein Fazit: „Unter den Arbeitsbedingungen von Afrika-Korrespondenten kann die Darstellung von Wirklichkeit nur eine sehr entfernte Zielvorstellung sein.“
Mükke macht dafür ein „weitreichendes gesellschaftliches Desinteresse an Afrika“ verantwortlich. Die Folge sei eine „Dramatisierungsfalle“, in der Afrika stecke, zu der sich in den Redaktionen „Konzeptlosigkeit“ und „Kompetenzdefizite“ paarten. Kritik, die sich nicht nur an Sender, sondern auch an Zeitungen und Agenturen richtet. Und die auf Widerstand stößt: ZDF-Auslandschef Theo Koll etwa weist sie entschlossen zurück (siehe Interview). DANIEL BOUHS