piwik no script img

Die Scheiße nicht auch noch geadelt

In Hamburg unterhält sich der Schauspieler Michael Weber mit dem Gesellschaftskritiker Thomas Ebermann über dessen Leben und linke Politik damals und heute

Analytisch und sprachlich kraftvoll: Thomas Ebermann Foto: Stefan Pabst

Von Kristof Schreuf

Ende der 1990er-Jahre trafen sich der Schauspieler Michael Weber und der Gesellschaftskritiker Thomas Ebermann als Mitwirkende in einer Theaterfassung von Hubert Fichtes Roman „Die Palette“ auf der Bühne des Malersaals des Hamburger Schauspielhauses. Dort lud Weber Ebermann ein, seinen Abend über den Dichter Hölderlin zu besuchen. Und Ebermann zeigte sich von Webers Versuch, den Briefromanhelden Hype­rion auf die Füße zu stellen, und „insbesondere den Passagen, in denen er sich mit den Deutschen anlegt“, angetan. Seitdem verabreden sich die beiden immer mal wieder zu gemeinsamen Projekten.

Nun begegnen sie sich erneut auf der Bühne des Malersaals. Gegenstand der Veranstaltung unter der Überschrift „Ebermann beleidigt Helmut Schmidt“ ist dieses Mal Thomas Ebermann selbst: „Mir ist aufgefallen“, sagt Weber, „dass Thomas’Texte eine analytische Qualität und eine sprachliche Kraft besitzen, die sowohl deren öffentliche Lesung als auch die Auseinandersetzung mit dem Autor rechtfertigen.“

Zu diesen Texten lässt sich auch etwa jene Rede zählen, die Ebermann im Dezember 1983 in der Hamburger Bürgerschaft gehalten hat. Den Anlass lieferte die Verleihung der Ehrenbürgerschaft an den früheren Bundeskanzler Schmidt (siehe dazu auch unseren Schwerpunkt vom 11. Januar).

Ebermann stellte „in dieser Situation bedrückender Feierlichkeit“, wie es im Protokoll heißt, fest, dass er „einen Flakhelfer loben und nicht fragen (solle), wie er ins Reichsluftfahrtministerium und auf die Zuschauerbank des Volksgerichtshofs geriet, wo ausgewählte Deutsche dem Prozess gegen die Deutschen des 20. Juli beiwohnten.“ Ebermann wies darauf hin, wie die Wertschätzung für Schmidt spätestens während des Deutschen Herbstes abgehoben hatte. Inmitten dramatischster Entwicklungen, so beschrieben es Zeitzeugen, die sich vor Bewunderung nicht mehr einkriegten, fand Schmidt immer noch die Konzentration, in den Mitteilungen an die Entführer des Arbeitgeberpräsidenten Hanns-Martin Schleyer, die Interpunktion zu korrigieren. Für solche Ausführungen kassierte Ebermann die Schlagzeile der Bild, die dem Gespräch im Malersaal die Überschrift liefert.

Gespräche haben Ebermann aber nicht nur in Theatern und Plenarien, sondern auch in Massenmedien zu Hochform auflaufen lassen. Das belegt Weber mit Ausschnitten aus Fernseh-Talkshows, an denen Ebermann als Mitglied der Hamburger Bürgerschaft, dann als Bundestagsabgeordneter und nun als Ex-Grüner und Publizist teilnimmt. Auch dort sorgt er immer wieder für unerhörte Momente.

In einer Sendung etwa, in der es um eine Betrachtung der Arbeitswelt geht, spricht Ebermann davon, dass Menschen am Arbeitsplatz heutzutage gezwungen seien, „die Scheiße, in der sie stecken, auch noch adeln zu müssen“. Woraufhin sämtliche weiteren Talkshowgäste, einschließlich des Moderators, die Fassung verlieren, beunruhigt von einem Bein aufs andere hüpfen und so hysterische Erwiderungen formulieren, als gelte es, das Abendland vor Ebermann zu retten.

Aber Weber wird nicht nur Fragen zu Ebermanns Jahren bei den Grünen stellen. Er schaut sich auch den Jugendlichen aus Hamburg-Bergedorf an, der Ingeborg Bachmann las und Partys besuchte, bei denen immer wieder „Kick Out the Jams“ von der Rockband MC5 und Platten von Jefferson Airplane liefen. Bachmanns Roman „Malina“ und Musik aus den USA bestärken Ebermann bis heute in der von Linken nicht so häufig vertretenen Ansicht, dass auch in der Kultur und in der Subkultur Interessantes passieren kann.

Ebermann sorgt immer wieder für unerhörte Momente

Musik spielt auch in Ebermanns Theaterprojekten eine wichtige Rolle: Im „Firmenhymnenhandel“, in der Arbeitnehmer die Scheiße, in der sie stecken, singend adeln müssen, als auch in „Der eindimensionale Mensch wird 50!“, ein „Theaterkonzert“ in Anlehnung an das Werk Herbert Marcuses.

Dass die Musik sich vor schreckliche Karren spannen lässt, wird Ebermann auch zeigen, wenn er in diesem Frühjahr mit Thorsten Mense auf Tour geht. Die beiden führen dann vor, wie der Begriff „Heimat“ ein Comeback auch in der Musik feiert. Zu den Abenden wird im Konkret-Verlag ein Buch erscheinen.

In jedem Fall hat man nun im Malersaal die Möglichkeit, einen der wenigen Linksradikalen zu erleben, dem man zuhören kann, ohne einzuschlafen.

Sa, 19. 01., 20 Uhr, Hamburg, Schauspielhaus/Malersaal (ggf. Restkarten an der Abendkasse)

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen