: SPD-Rechte bricht mit Agenda 2010
Der Seeheimer Kreis will einen Mindestlohn von 12 Euro und Leih- und Zeitarbeit nahezu abschaffen
Dirk Wiese (Seeheimer Kreis)
Von Stefan Reinecke
Unter dem „Mut zu mehr“ hat der Seeheimer Kreis, der rechte SPD-Flügel, ein kurzes Programmpapier vorgelegt. Der Text enthält vier Kernforderungen, die allesamt auf eine mehr oder weniger weitgehende Korrektur der Agenda 2010 zielen. Der Mindestlohn soll von derzeit 9,19 auf 12 Euro steigen. Das Arbeitslosengeld I soll länger gezahlt werden. Wie lange, bleibt allerdings unklar. Zudem sollen Sanktionen bei Hartz IV „nur letztendliches Mittel“ sein.
Allerdings bleiben Fragen offen, vor allem weil konkrete Zahlen fehlen. Den Mindestlohn setzt zudem eine unabhängige Kommission fest.
Dirk Wiese, einer von drei Sprechern der Seeheimer, hält das für ein lösbares Problem. „Der Gesetzgeber kann die 12 Euro ohne Kommission durchsetzen“, sagte er der taz. Danach werde die Höhe dann wieder wie gehabt von der Kommission festgesetzt. „Ich bin sicher, dass das funktioniert“, sagte der SPD-Bundestagsabgeordnete.
Die Anhebung des Mindestlohns auf 12 Euro hatte zuerst die Linkspartei gefordert. Nach der Bundestagswahl 2017 hatte der ebenfalls der SPD-Rechten zugehörige jetzige Vizekanzler Olaf Scholz diese Forderung vorsichtig aufgegriffen. Andrea Nahles hatte damals auf die Zuständigkeit der Kommission verwiesen. Bei der Union wird die SPD mit der Idee auf Granit beißen. Offenbar dient die 12-Euro-Forderung dazu, im nächsten Wahlkampf den Unterschied zur Union zu markieren.
Eine interessante Idee in dem dreieinhalbseitigen Papier ist die Forderung, die Leih- und Zeitarbeit abzuschaffen. Die soll nur noch ausnahmsweise erlaubt sein, nämlich als Teil von Tarifverträgen. Mit dieser recht weitgehenden Forderung geht die SPD-Rechte über das hinaus, was die Partei im Wahlkampf 2017 wollte. Da war nur davon die Rede, dass Leih- und ZeitarbeiterInnen besser bezahlt werden sollten. Das Copyright auf die Abschaffung von Leih- und Zeitarbeit hat die Linkspartei.
„Wir gelten als wirtschaftsnah“, so Wiese zur taz. Die Seeheimer hätten aber auch viele Gewerkschafter in ihren Reihen. So scheint sich auch der rechte SPD-Flügel mehr oder weniger von der Agenda 2010 zu verabschieden. Die hatte nach 2003 den Effekt, dass – politisch gewollt – ein großer Niedriglohnsektor entstand.
Die SPD leidet nach jahrelanger Regierungspraxis an einem Ermüdungsbruch. Von SozialdemokratInnen hört man in letzter Zeit die Klage, dass niemand mehr weiß, wofür die SPD steht. Der Druck, etwas zu ändern, ist groß. Deshalb geht nun, was jahrelang vor allem an den SPD-Rechten scheiterte.
In Sachen Hartz IV stehen die Seeheimer indes auf der Bremse. Die Idee, Hartz IV abzuschaffen und durch ein anderes System zu ersetzen, fehlt in dem Papier. Lediglich die Sanktionspraxis soll entschärft werden, so wie es auch Arbeitsminister Hubertus Heil will. Zudem soll das Schonvermögen von Hartz-IV-BezieherInnen steigen. Allerdings fehlt auch hier eine Zahl.
Von einer Erhöhung des Hartz-IV-Regelsatzes, den alle Wohlfahrtsverbände für überfällig und nötig halten, ist keine Rede. „Die SPD ist die Partei der Arbeit.“ So steht es fettgedruckt in dem Papier. Das schließt offenbar ein, sich eher für mies Verdienende zu erwärmen als für Arbeitslose.
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