: Göttingens Fans sind erstklassig
Göttingen 05 ist sportlich unwichtig. Aber die Fans waren im britischen Fernsehen und gewinnen Preise
Von Reimar Paul
Der 1. SC Göttingen 05 war im Fußball mal eine große Nummer. 1966 und 1967 scheiterte der Klub als Zweiter der Regionalliga Nord in der Qualifikation zur Bundesliga-Aufstiegsrunde. Ein Jahr später hätte es mit dem Aufstieg fast geklappt. Zu den Spielen in der Qualifikationsrunde gegen Hertha BSC, Rot-Weiß Essen, Bayern Hof und den von Fritz Walter trainierten SV Alsenborn kamen bis zu 18.000 Zuschauer ins Göttinger Jahnstadion. 1974 waren die 05er immerhin noch Gründungsmitglied der 2. Fußballbundesliga.
Heute kickt der Verein, nunmehr als I. SC Göttingen, in der sechstklassigen Landesliga Braunschweig. Er belegt dort zurzeit den 11. Platz. Wenn mal 300 Leute zu den Heimspielen kommen, sprechen Vorstand und Spieler von einem guten Besuch.
Der große Absturz erfolgte 2001. Göttingen 05 war Oberligameister geworden, was zu zwei Relegationsspielen um den Aufstieg in die Regionalliga berechtigte. Sportlich wurde das Ziel gegen Holstein Kiel auch erreicht, nach einem 0:2 an der Förde gewannen die Südniedersachsen das Rückspiel mit 3:0.
Doch zwischenzeitlich war der Verein finanziell in die Bredouille geraten. Lokale Förderer sprangen ab oder reduzierten ihr Engagement. Ende Mai 2011 stellte der mit mehr als drei Millionen Euro verschuldete Verein einen Insolvenzantrag. Die Lizenz für die Oberliga wurde ihm deshalb verweigert.
Der Klub war am Ende
In der Spielzeit 2001/2002 setzte die Vereinsführung trotz leerer Kassen und des laufenden Insolvenzverfahrens weiter auf Aufstieg und vergrößerte den Schuldenberg. 2003 – 98 Jahre nach seiner Gründung – wurde der Klub aufgelöst.
Als Auffangverein für die Jugendmannschaften wurde der 1. FC Göttingen 05 gegründet. Am 4. März 2005 fusionierte dieser Verein mit einem Vorortverein zum RSV Göttingen 05. Im Jahr 2013 wurde die Herrenmannschaft als I. SC Göttingen 05 ausgegliedert.
Höherklassiger Fußball ist in Göttingen schon seit Jahren nicht mehr zu sehen. Allesamt ohne Aufstiegschancen, tummeln sich in der Landesliga gleich vier Vereine aus der Universitätsstadt. Dass die sportliche Gegenwart des Göttinger Fußballs grau und seine Perspektiven mau sind, liegt auch an den Eitelkeiten vieler Fußballfunktionäre. Mehrfach gestartete Initiativen für Fusionen oder wenigstens eine Spielgemeinschaft scheiterten an Egoismen, Rivalität und persönlichen Animositäten.
Erstklassig sind hier nur die Fans. Nach dem insolvenzbedingten Aus des 1. SC Göttingen 05 ließen sie sich zeitweise von anderen Vereinen mieten – gegen Anreisekosten, Bier und Bratwurst. Damit schafften sie es bis ins britische Fernsehen. Die 05-Fans engagieren sich stark gegen Rassismus und Antisemitismus. 2005 wurde ihr Dachverband, die Supporters Crew 05 Göttingen, mit dem Julius-Hirsch-Preis des Deutschen Fußballbundes ausgezeichnet.
Der DFB würdigte damit insbesondere das Engagement der Fans zur Erinnerung an den jüdischen Fußballer und Kaufmann Ludolf Katz. Dieser war 1934 nach fast 15-jähriger Mitgliedschaft vom Verein 1. SC Göttingen 05 ausgeschlossen worden. Ihm gelang die Flucht aus Nazi-Deutschland in die USA.
Die Fans beseitigen regelmäßig auch Müll und Dreck am Mahnmal der Göttinger Synagoge. Sie greifen nach eigenen Angaben auch ein, „wenn sich Menschen zum Feiern unter den Gedenktafeln der von den Nazis verschleppten und getöteten Göttinger Juden versammeln“. Zudem organisierten die Supporters eine Veranstaltung zu Homosexualität und Fußball und eine Ausstellung über Rassismus in den Stadien.
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