LESERINNENBRIEFE
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Kategorischer Imperativ für Europa

■ betr.: „Wie Karlsruhe Europa retten will“, taz vom 22. 9. 12

Richtig gefreut habe ich mich, als ich Jürgen Habermas abgebildet sah. Hatte ich aber gehofft, die Veröffentlichung der Ideen des „europäischen Vordenkers“, wie Sie schreiben, zu lesen, wurde ich sehr enttäuscht. Ich denke, nicht nur für mich sind die Ideen eines Philosophen schwer zu verstehen. Allerdings sind Philosophen Vordenker – sie befassen sich mit der Zukunft! Juristen, auch wenn es gebildete Menschen sind, wie Andreas Voßkuhle, der Präsident des Bundesverfassungsgerichtes, befassen sich mit der Vergangenheit – mit der Auslegung von bestehenden Gesetzen!

Wenn ich Jürgen Habermas’ „Zur Verfassung Europas“ richtig verstanden habe, regt er an, die Grundlagen der Verfassung Europas an einem allgemein gültigen Gesetz zu orientieren. Es braucht nicht viel – allerdings Grundlagen, die für alle Ethnien und alle Religionen gültig sind.

Der kategorische Imperativ (handle nur nach der Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, dass sie ein allgemeines Gesetz werde) ist solch ein Gesetz. Der „Kant’sche Imperativ“ impliziert nicht nur die 10 Gebote, sondern auch den Koran und den Talmud. In unserer immer komplizierter werdenden Welt brauchen wir Regeln, nach denen alle Religionen leben können, vor allen Dingen Regeln, die nicht die (geringen) Gegensätze betonen, sondern die vielen Gemeinsamkeiten in den Vordergrund stellen. Wir brauchen Regeln, die nicht nur die deutsche Exportwirtschaft schützen. Wir brauchen auch Regeln, um die immer stärker werdende Umverteilung von unten nach oben zu begrenzen. NORBERT VOSS, Berlin

Jubel über noch mehr Staus

■ betr.: „Busse bezahlen keine Maut“, taz vom 18. 9. 12

Wie dumm ist das denn? Da jubilieren manche, dass nun endlich Fernbusse im Linienverkehr eingesetzt werden dürfen. Dann jubeln wir doch auch direkt über noch mehr Staus auf den Autobahnen, über noch mehr schwere Busunfälle wegen übermüdeter Fahrer und über noch mehr CO2-Ausstoß, denn niemand wird ernsthaft erwarten, dass dadurch weniger Pkws unterwegs sein werden. Anstatt mehr Verkehr auf die Schienen zu bringen, wird ab jetzt noch mehr Verkehr auf die Straßen gebracht. Sinn würden Busverbindungen nur dort machen, wo es keinen Schienenverkehr gibt. Nun werden den Zügen die Fahrgäste entzogen und dafür wird ein neues Verkehrsproblem aufgemacht – ohne jede Not. Da scheint die Lobby der Busunternehmer ja mal richtig viel Geld in die Hand genommen zu haben. STEFAN BLUEMER, Mülheim/Ruhr

Wie schön harmonisch

■ betr.: „Fremde am Tisch“, taz vom 21. 9. 12

Zu Beginn erfährt der/die interessierte LeserIn, dass Gemälde nicht „altern“ – der demenziell Erkrankte erkennt das Bild in der Wohngemeinschaft. Seine Mitbewohnerin dirigiert von Smetana „Die Moldau“. Wie schön harmonisch sind die Beispiele – so stellt sich jede/r gerne das Leben in einer „Alten“- und oder „Dementen“-WG vor. Der Personenkreis in diesem Artikel hat bestimmt eine Diagnose, welche in die große Rubrik Demenz passt.

Leider beschreibt der Artikel nicht, wie sich das Leben in einer WG gestaltet, wo niemand mehr weiß, was was ist, wo kaum einer sich selbst mehr erkennt, wo die Böden verunreinigt sind durch Kot und Urin. Falls ein Bewegungsdrang (Weglauftendenz) besteht, wie wird das gehandhabt? Was passiert, wenn der Rundweg verlassen wird und die Tür gefunden wird. Ist sie verschlossen? Was passiert, wenn trotz großer Bemühungen das Essen und Trinken verweigert wird? Falls die ein oder andere Verhaltensweise nicht beim Einzug vorhanden ist, sondern später auftritt, muss der/die BewohnerIn die WG verlassen? Was sind die Aufnahme- und Ausschlusskriterien?

Für das Detail ist der junge Mensch noch nicht bereit. Schade, wenn wir nicht jung sterben, werden wir alle alt. Es wird Zeit, dass alle Wohnungsmöglichkeiten, auch das Altenheim, danach überprüft werden, was die sinnvollste und realistischste Art des Lebens in den verschiedensten Lebensphasen ist. EVA WIESE, Karlsruhe

Der einzig ehrliche Satz

■ betr.: „Der Club der kleinen Leute“, taz vom 17. 9. 12

Wie sehr setzen gerade die Herren der Führungstroika der SPD darauf, dass die „kleinen Leute“ vergessen, wer für die heutige Misere der Altersarmut, des Lohndumpings, der Niedriglöhne verbunden mit Niedrigrenten, dem unkontrollierten Zocken der Banken verantwortlich ist. Waren das nicht gerade die Herren Schröder, Müntefering, Steinbrück, Steinmeier? Und wird nicht der Warner Lafontaine immer noch abgestraft?

Es sind doch immer noch dieselben Persönlichkeiten, die nach wie vor für all das stehen, es nach wie vor als richtig verteidigen und nur rudimentär zugeben, dass hier „kleine Fehler“ gemacht wurden, die man nur dann korrigieren kann, wenn man wieder an die Macht kommt. Wer soll das denn noch glauben? Und vor allen Dingen, wer soll das glauben, wenn noch nicht einmal deutlich gesagt wird, was falsch war/ist und vor allem, wie es korrigiert werden soll? Wer soll daran glauben, dass gerade die, die dem Neokapitalismus Tür und Tor geöffnet haben, es jetzt anders machen wollen?

Möglicherweise war der Satz von Herrn Gabriel: „Wir machen nicht alles, was ihr uns sagt …“ der einzig ehrliche auf diesem Kongress; vielleicht das Ehrlichste überhaupt. Aber es wird auch von ihm nicht gesagt, was er anders machen will. Wo ist dann die Politik für die „kleinen Leute“? ALBERT WAGNER, Bochum