: Viel Zeit für Konzepte
In der Ausstellung „Local Histories“ im Hamburger Bahnhof sind zahlreiche große Künstlerinnen und Künstlervon Pop Art bis zum hiesigen „Kapitalistischen Realismus“ zu sehen – sie bezieht sich auf Ideen von Donald Judd
Von Lorina Speder
„Der Abstrakte Expressionismus ist tot“, verkündete der Kunstkritiker und amerikanische Künstler Donald Judd 1964 in seinem Text „Local Histories“. Der Titel seines Aufsatzes ist nun zum Titel einer umfangreichen Ausstellung in den abgelegenen Rieckhallen des Hamburger Bahnhofs geworden. Mit Werken aus der Friedrich Christian Flick Collection, die durch Leihgaben ergänzt wurden, bekommt man hier als Besucher einen Überblick über die westliche Kunstszene ab den 1960er Jahren und kann die Netzwerke zwischen New York, Düsseldorf, Los Angeles, Berlin und Köln anhand ihrer Protagonisten nachvollziehen. Donald Judd begegnet man dabei immer wieder. Sei es über seine möbelartigen eigenen Werke, Skizzen oder durch seine Texte, in denen er Gattungen in der Kunst ablehnt und sich eine offene Begegnung mit Kunstwerken wünscht.
Die Ambivalenz des Werks
Genau das sollte man sich für die Ausstellung zu Herzen nehmen. Denn die gezeigten Kunstwerke bergen Konzepte, die es lohnt, mit viel Zeit in der Ausstellung zu erforschen. Es beginnt mit einem Werk von der amerikanischen Künstlerin Lee Bontecou, die Judd im Arts Magazine vom April 1965 sachlich, aber mit begeistertem Unterton porträtiert. Ihre Reliefarbeiten wären die ersten, schrieb er, welche drei Dimensionen benutzen, aber weder Skulptur noch Gemälde seien. Das mache ihr Werk explizit und stark. Die unbetitelte Leinwand aus dem Jahr 1960, die im ersten Raum der Ausstellung an der Wand hängt, macht tatsächlich Eindruck und fällt mit seinen tiefen, schwarzen und runden Flächen sofort ins Auge. Diese Löcher entstehen durch die Hervorhebungen mit Pergament und Kunststoff, die eine abstrakte Berglandschaft in den Raum ragen lassen. Ein traditioneller Genrebegriff reicht hier nicht aus, um das Werk zu beschreiben.
Die Ambivalenz dieses Werks dürfte Judd gefallen haben. Auch, dass Bontecous Arbeit den Raum aufnimmt und ihn gleichsam gestaltet, wäre wohl in seinem Sinne gewesen. Denn ein ähnliches Verhältnis von Kunstwerk und Raum kann man ein paar Schritte weiter in seinen eigenen regalartigen Wandhängungen beobachten.
Dass Judd und viele seiner amerikanischen Kollegen in der Ausstellung als Maler ausgebildet wurden und sich dann von der Kunstrichtung abwendeten, wird in den Rieckhallen mit Texten und Zeitschriften aus der Zeit belegt. Unter den Künstlern sind prominente Namen wie Bruce Nauman, Robert Morris, der erst kürzlich verstarb, oder Dan Flavin, dessen Lichtröhren schon außen am Museumsgebäude auffallen. Alle Namen verbindet man heute eher mit Konzepten und der Arbeit mit dem Raum als mit Gemälden. Dass viele von ihnen jedoch maßgeblich von Jackson Pollock beeinflusst wurden und die Art, wie er malte als Anstoß nahmen, anders zu denken, wird im Hamburger Bahnhof gut aufgeschlüsselt. George Segal wollte die Malerei hinter sich lassen. Er schrieb, dass das Malen bei ihm eine Krise ausgelöst hätte. Ab 1958 wollte er keine Gestaltungsmöglichkeit mehr auslassen und widmete sich deshalb seinen Gipsfiguren, die immer ein menschliches Vorbild hatten. So ließ er Kunst und Lebenswelt ineinander überfließen. Die Gipsfigur in der Ausstellung aus dem Jahr 1973, die von einer Leiter aus eine Pepsi-Reklame an die Wand bringt, wirkt lebensecht. Die Dynamik, die aus der Körperhaltung entsteht, wird noch durch die langgezogenen, weißen Tropfen auf dem hellen Material verstärkt. Die Oberfläche der Figur ist somit nicht glattgezogen, sondern rau und bewegt.
Das Aufnehmen von amerikanischen Marken wie hier Pepsi in der Kunst, das mit der Pop-Art einherging, wurde auch in Deutschland beobachtet. In einem weiteren Raum kommt die Künstlergruppe „Kapitalistischer Realismus“ um Sigmar Polke, Gerhard Richter, Konrad Lueg und Manfred Kluttner zum Zuge. 1963 wollten sie dem von der DDR geförderten Sozialistischen Realismus mit einem Augenzwinkern begegnen und schufen poppige Werke, die ihre Haltung zum Osten ganz offen und spielerisch darstellen. Da ist Luegs Porträt an der Wand, das circa 1964 entstand, Gerhard Richters Vorhang auf Leinwand in großer und kleiner Ausführung oder Kluttners rot-weiß kariertes Bild, das wie in einer optischen Täuschung in seinen Dimensionen versinkt. Dass Lueg wenige Jahre später unter dem Namen Konrad Fischer seine eigene Galerie eröffnete und amerikanische Künstler wie Carl André, die in New York lebende Hanne Darboven oder Bruce Nauman vertrat, zeigt die Ausstellung in einem weiteren Raum. Die Querverbindungen über den Großen Teich werden hier in einem Brief von Konrad Lueg an Kaspar König offengelegt, der zu der Zeit in New York lebte und seinem Künstlerfreund und Galeristen interessante Künstler ans Herz legte. Mit der Konrad Fischer Galerie oder auch dem Raum um die Künstlerinnen wie Jenny Holzer oder Cindy Sherman, die Monika Sprüth in ihrer Kölner Galerie in den 80er Jahren etablierte, führt die Ausstellung ins Jetzt. Denn die Geschichte der Kunst mit Konzept ist noch lange nicht zu Ende geschrieben. Zum Glück.
„Local Histories“, Hamburger Bahnhof, Invalidenstraße 50–51, bis 29. September
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